Traeume wie Samt
geplant hatte, hatte er keinen Augenblick davon vorgehabt, sie mit seinen schwierigen Verwandten zu konfrontieren. Er verstand den Impuls nicht, der ihn veranlaßt hatte, sie nach Hidden Springs einzuladen, und das beunruhigte ihn. Einen Großteil der Nacht hatte er damit verbracht, über diese Frage nachzudenken. Sein Verstand arbeitete normalerweise in klar geordneten, nachvollziehbaren Mustern. Die einzigen Ausnahmen bildeten seine gelegentlichen Einsichten. Der Gedanke daran, daß seine Gefühle für Molly genauso unerklärlich sein könnten wie jene seltenen, traumatischen Wissensblitze, verstörte ihn.
Ein drohender Schauer durchlief den Aal. Durch die Glasscheibe des Aquariums begegnete sein kalter, gefühlloser Blick dem Harrys. Harry sann über den primitiven Entwicklungsstand des Zitteraals nach und empfand so etwas wie Neid. Nichts komplizierte das Leben des Aals. Es existierten keine vertrackten Familienprobleme, kein Gefühl, zwischen zwei verfeindeten Welten gefangen zu sein. Keine Melancholie. Und keine Angst vor einem tiefen, verzehrenden Hunger nach einer bedingungslosen Seelenverbindung, für den es weder eine Erklärung, geschweige denn Erfüllung gab.
Jemand trat neben ihn vor das Wasserbecken. Harry wandte den Kopf und warf dem Mann einen kurzen Blick zu, um seine Gedanken dann wieder dem Aal zuwenden zu können. Überrascht erkannte er seinen Cousin Brandon Stratton Hughes.
»Ich nehme an, das ist kein Zufall«, sagte Harry.
»Ich bin in deiner Wohnung gewesen.« Brandon sprach mit gedämpfter Stimme und sah sich vorsichtig in dem nur spärlich besuchten Ausstellungsraum um. Offenbar wollte er sicherstellen, daß niemand mithörte. »Deine Haushälterin sagte mir, daß du hier bist. Eine ziemlich teure Methode, um die Zeit totzuschlagen, oder? Der Eintritt ist nicht gerade billig.«
»Ich habe eine Jahreskarte und komme gern hierher, wenn ich nachdenken will.«
»Das paßt zu dir.«
Harrys Verhältnis zu Brandon war nie sehr herzlich gewesen. Keine seiner Beziehungen zu den verschiedenen Familienmitgliedern – Josh ausgenommen – konnte als eng bezeichnet werden. Brandon und er hatten beinahe nichts gemeinsam, sah man von dem genetischen Erbe der Strattons ab. Brandon war vier Jahre jünger als Harry. Er besaß einen athletisch gebauten Körper, blaue Augen, blondes Haar und das aristokratische, gute Aussehen, das alle männlichen Strattons seit mehreren Generationen auszeichnete. Er hatte eine abgesicherte Position als Vizepräsident von Stratton Properties inne, der familieneigenen Immobilienfirma.
»Nun?« fragte Harry. »Du mußt schon sehr dringend mit mir sprechen wollen, wenn du bereit bist, das Eintrittsgeld für das Museum zu zahlen, nur um mich zu treffen.«
»Ich komme gleich zur Sache. Hat Olivia dich heute angerufen?«
»Nein.«
»Und meine Mutter?«
»Von Tante Danielle habe ich heute auch noch nichts gehört.« Harry sah Brandon an. »Warum?«
Brandons Züge spannten sich. »Sie sind beide etwas erregt.«
»Worüber?«
Brandon atmete tief ein. »Von mir aus sollst du es als einer der ersten erfahren. Ich habe beschlossen, Stratton Properties zu verlassen und mich selbständig zu machen. Ich gründe eine Firma für industrielles Immobilienmanagement.«
Harry pfiff tonlos. »Ich wette, daß diese Entscheidung auf große Zustimmung gestoßen ist.«
»Du weißt verdammt gut, daß sie wie eine Bombe eingeschlagen hat. Ich habe meinen Entschluß gestern abend verkündet. Die ganze Familie befindet sich in höchstem Aufruhr. Meine Mutter ist außer sich, Großvater beleidigt, und Onkel Gilford hat mich schon in die Mangel genommen.«
»Das überrascht mich nicht.« Harry schwieg. »Und Olivia?«
»Olivia findet, daß ich einen großen Fehler mache.« Bedrückt blickte Brandon auf den Aal. »Sie sagt, daß mein Entschluß nicht auf einer logischen Situationsanalyse beruhe. Er sei vielmehr ein Ausdruck für den Wunsch, gegen einen kontrollierenden Großvater und eine allzu gluckenhafte Mutter zu rebellieren.«
»Der Großvater und die Mutter existieren nun mal«, betonte Harry. »Und der Rest der Familie hält sich auch nicht gerade zurück, wenn es um Beeinflussung geht.«
»Verdammt, Harry. Ich werde diesen Schritt tun.« Brandon ballte die Faust. »Ich will aus dem Familiengeschäft aussteigen.«
»Das wird nicht leicht sein.«
»Du hast es auch geschafft. Du hast Großvater gesagt, daß er sich zum Teufel scheren und aufhören soll, dir einzureden, bei Stratton
Weitere Kostenlose Bücher