Traeume wie Samt

Türöffnung stehen. Ein Blick genügte, und sie verstand, daß jetzt nicht der Zeitpunkt war, ihm intime Fragen über die Verletzlichkeit zu stellen, die sie in der vergangenen Nacht an ihm bemerkt hatte. Der verspielte Liebhaber aus der Dusche war gewichen und hatte dem grimmigen, ernsten Mann Platz gemacht, den sie im vergangenen Monat oft genug gesehen hatte.
    Sein Haar war noch feucht. Er trug eine Khakihose und ein schwarzes Baumwollhemd. Die Augenlider waren halb gesenkt, die Züge nachdenklich. Eine Hand preßte sich geschlossen gegen seine Seite.
    Molly schloß das Kochbuch langsam. »Harry, was hast du?«
    »Ich glaube, ich kenne ihn.«
    »Wen?« fragte sie verwirrt.
    Harry streckte die Faust aus und öffnete sie, um ihr das mechanische Bauteil zu zeigen. »Ich glaube, ich weiß, wer das Ding gebastelt hat.«
    »Das ist unmöglich.«
    »Nein.« Harry ging zum Tresen und legte das Teil darauf. Wie ein Habicht, der eine gefangene Maus untersuchte, studierte er den Mechanismus. »Die Erkenntnis dämmerte mir bereits gestern nacht. Aber nur undeutlich und verzerrt. Dann kamst du ins Wohnzimmer, und ich wurde abgelenkt.«
    Molly hob die Brauen. »So kann man es auch ausdrücken.«
    Harry ignorierte ihren Versuch zu scherzen. Seine Aufmerksamkeit war ganz auf das Metallstück gerichtet. »Ich habe das Ding gerade auf dem Teppich gefunden, als ich mich anzog. Ich muß es heute nacht fallen gelassen haben.«
    »Und?«
    »Als ich es aufhob, kam die Erinnerung zurück.« Harry hob den Blick und sah Molly an. In seinen glänzenden Augen stand ein kühler, nachdenklicher Ausdruck. »Nur war das Gefühl diesmal nicht verschwommen oder verzerrt, sondern klar und deutlich.«
    »Ich verstehe nicht. Was meinst du mit ›verschwommen‹?«
    »Vergiß es.« Harry zog ein düsteres Gesicht, als hätte er schon mehr gesagt, als er wollte. »Was ich ausdrücken will, ist …«
    Molly hob die Hand. »Einen Moment, Harry. Sprechen wir von deinem unseligen Erbe, dem Zweiten Gesicht der Trevelyans?«
    »Sei nicht albern, Molly. Du bist zu klug für diesen Unsinn. Sagen wir es so: In meinem Kopf haben sich einige Gedanken zusammengefügt, und als ich das Ding heute wiedergesehen habe, machte etwas Klick.«
    »Aha. Also eine deiner Einsichten?«
    »So ungefähr«, gab er kühl zu. »Ich hätte es heute nacht herausgefunden, aber meine Gedanken wurden aus verständlichen Gründen abgelenkt.«
    »Welche Gründe?«
    Ein amüsierter Ausdruck erschien auf seinem Gesicht. »Du hast mich verführt.«
    »Ach das.« Sie wurde rot. »Ich dachte, du meintest etwas anderes. In Ordnung. Es hat also Klick gemacht. Weshalb?«
    »Mir wurde etwas klar, das ich gleich hätte verstehen sollen. Ich kenne den Mann, der das Gespenst gebaut hat.« Harry runzelte die Stirn. »Zumindest kenne ich seine Arbeitsweise. Was beinahe dasselbe ist.«
    »Da komme ich nicht mit, Harry.«
    »Erinnerst du dich, wie deine Schwester einen Blick auf die Schreckschußpistole geworfen hat und meinte, zwei ihrer Freunde seien mit Sicherheit unschuldig?«
    »Sie sagte, es sei nicht ihr Stil.«
    »Genau.« Harry setzte sich auf einen Drahthocker. »Alle Basteleien dieser Art sind in einem bestimmten Stil hergestellt. Die Pistole und dieses verdammte Gespenst unter deinem Bett waren keine Fertigartikel. Die Sachen sind speziell für diesen Zweck konstruiert worden.«
    Molly betrachtete das Metallstück auf dem Küchentresen. »Ich glaube, langsam begreife ich, worauf du hinauswillst.«
    »Es spricht gegen alle Gesetze der Wahrscheinlichkeit, daß zwei Menschen genau die gleiche Konstruktionsweise wählen, denselben notdürftig zusammengeschraubten Elektromotor und einen identischen Hubmechanismus benutzen, der ebenso schlampig hergestellt wurde.«
    »Wahrscheinlich hat also dieselbe Person den Schreckschußkasten und das Gespenst gebaut«, sagte Molly. »Soweit waren wir schon. Was bringt dich darauf, daß du den Bastler kennst?«
    »Ich habe diese nachlässige Arbeit schon einmal gesehen.«
    Molly starrte ihn an. »Bist du sicher?«
    Harry lächelte schwach. »Das versuche ich dir begreiflich zu machen. Ich kenne die Arbeit dieser Person. Nun muß ich nur noch herausfinden, woher.«
    »Wie willst du das schaffen?«
    »Das ist einfach«, antwortete Harry. »Als erstes werde ich alle einhundert Erfinderanträge noch einmal durchgehen, die ich dir zur Ablehnung empfohlen habe.«
    Die Konsequenz von Harrys Worten traf Molly so heftig, daß sie sich haltsuchend an den Tresen