Träume(h)r (German Edition)
er seine Wolle exklusiv an das Modeunternehmen liefern würde und verdiente als Gegenleistung das Zehnfache von einer Schafzucht mit weißen Schafen.
Seither trug er als Aushängeschild immer die schwarzen, modischen Wollpullover der beiden, wie sich später herausstellte, homosexuellen Designer, die exklusiv aus Wolle seiner schwarzen Schafe hergestellt wurden.
Da hatten die anderen Züchter ihren Dorftrottel wohl zu früh bestimmt, stellte Marc amüsiert fest.
»Sehr nette Geschichte«, sagte Ole. »Aber warum sind Sie dann eigentlich hier in einem Zug auf dem Weg nach Madrid, anstatt schwarze Schafe in England zu scheren?«
Eine berechtigte Frage. Ein wohlhabender Schafzüchter in einem EuroNight, der dreizehn Stunden bis zu seinem Zielort brauchte. Eine ganz und gar nicht standesgemäße Reise, fand auch Marc.
»Es gibt aktuell Streiks an den Flughäfen in Spanien. Die legen den gesamten Flugverkehr lahm. Ich habe ein unheimlich seltenes Rückenleiden, das behandelt werden muss und es gibt einen Spezialisten dafür in Madrid. Ich wusste mir nicht anders zu helfen, als den nächsten Flug in eines der umliegenden Länder zu nehmen, um von dort aus mit dem Zug nach Madrid zu fahren«, sagte der Schafzüchter verärgert.
Im Anschluss war es einige Minuten ruhig. Plötzlich fing der Brite an ununterbrochen mit seinem linken Auge zu zwinkern. Er wirkte dabei so, als sei ihm irgendein Insekt hineingeflogen. Hektisch nahm er einen kleinen Behälter, der aussah als würde er Augentropfen enthalten aus der Vordertasche seines Rucksacks und begann daran herumzuhantieren. In seiner Panik und unter der Hitze des Strickpullovers begraben, brach er in Schweiß aus.
»Können wir Ihnen irgendwie behilflich sein?«, fragte Marc zuvorkommend. Noahs Gesicht war bereits mit Schweißtropfen übersät.
»Nein, danke. Ich komme schon zurecht. Ich habe eine seltene Augenkrankheit. Nicht ansteckend, also keine Sorge. Es ist nur im Sommer bei dem grellen Licht besonders lästig«, sagte der Engländer und versuchte gleichzeitig die Flüssigkeit in sein linkes Auge zu tröpfeln, wobei ihm noch mehr Schweiß aus den Poren rann.
Es war schon das zweite Mal innerhalb einer halben Stunde, dass der Mann eine seltene Krankheit geäußert hatte, dachte sich Marc, aber sicher war es nur Zufall.
Als sich in Blois die Tür des Abteils öffnete, kam ein Mann herein, der mit pechschwarzem, schulterlangem Haar und einem dunklen Vollbart ein Spanier sein musste. Er trug eine kurze Hose in Kombination mit einem luftigen Hemd aus Leinen. Marc schätzte ihn auf Mitte Vierzig.
Der Spanier fragte erst in seiner Sprache und dann in fehlerfreiem Englisch, ob noch Platz frei war. Ole und Marc nickten ohne zu zögern. Noah brauchte etwas Bedenkzeit, aber er bot dem Spanier daraufhin den Platz zu seiner Linken an.
»Nehmen Sie mein Zögern bitte nicht persönlich, aber ich habe Klaustrophobie. Ich kann es nicht ertragen, wenn es zu eng ist. Ich wollte Sie dabei nicht persönlich angreifen«, versicherte er seinem Sitznachbarn. Noch eine Krankheit, stellte Marc fest. Die Leiden des Schafzüchters schienen sich zu häufen.
»Es sei Ihnen verziehen. Mir war es anfangs ein Rätsel, weshalb Sie mich mit Argwohn betrachteten. Ich dachte erst an Rassismus, der jedoch schlagartig von Misanthropie abgelöst wurde. Es liegt vermutlich in der Natur des Menschen, zu hassen, aber in mir müssen Sie keinen Feind sehen, mein Freund«, sagte der Spanier.
Marc hatte soweit er sich erinnern konnte niemals zuvor eine pathetischere Einleitung erlebt. Er fühlte sich wie in einen Roman von Theodor Fontane hineinversetzt, der in vergangenen Zeiten spielte. Es schien aber die normale Redensart des Spaniers zu sein, denn er machte keine Andeutungen von Ironie oder Sarkasmus.
Als alle sich bekannt gemacht hatten, ergriff er erneut das Wort und knüpfte an seine vorangehenden sprachlichen Leistungen an.
»Miguel Campillo nannten mich meine Erzeuger. Ich bin in Zaragoza geboren und erblüht. Dort habe ich die Früchte der Sprache gekostet und konnte nie mehr davon ablassen. So köstlich, saftig und frei von dem harten Kern der Realität können sie sein. Seit jeher faszinieren mich die Worte, die der Herr selbst uns geschenkt hat, um mitzuteilen, was der Geist und vor allem das Herz mitteilen müssen!«
Ole hörte dem Spanier, wie im Kino sitzend, mit offenem Mund zu. Beim genauem Hinsehen konnte Marc feststellen, dass der Inhalt von Oles Mund, es mussten gerade
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