Träume(h)r (German Edition)
Gummibärchen sein, durch die einfallenden Lichtstrahlen regenbogenfarbig reflektiert wurde. Der Junge musste Zähne aus Granit haben, dachte sich Marc.
Mit dem Spanier in einem Abteil kamen sie sich nach nur fünf Minuten Fahrt so vor, als seien sie bei einer Vorstellung im Theater. Die Verse des Poeten deutend, fand Marc heraus, dass sich Miguel auf dem Weg nach Madrid befand, um dort neue Gedichte und weitere Poesie zu verfassen. Er lebte davon, dass man seine geistigen Ergüsse in entsprechenden Zeitschriften abdruckte, die dann von Interessenten und Kennern gekauft wurden. In Blois hatte er es geschafft in zwei Jahren vier Gedichte zu schreiben, was laut ihm, sehr gut war und vollkommen ausreichte, da bedachte Verse Zeit brauchten, um zeitlos zu werden.
Seit einigen Monaten steckte Miguel jedoch in einer Krise. Er konnte kein Ende für sein bisher bestes Gedicht finden, was ihn verrückt machte.
»Das war der Grund, weshalb ich das schöne Blois verlassen musste, um nach neuer Inspiration in Madrid Ausschau zu halten«, sagte der Poet wehleidig. Leider konnten weder Ole und Marc, noch Noah dem Spanier bei der Lösung seines Problems helfen, da er ihnen keinen Einblick auf die bisher geschrieben Verse gewähren wollte.
Als die Sonne unterging, war auch so langsam der Poet müde geworden und die vier ließen sich im Schlafabteil des Zuges nieder. Marc lag im Hochbett über Ole und der Engländer Noah London schlief ihm gegenüber, oberhalb des Poeten Miguel.
In dieser Nacht Schlaf zu finden, sah für Marc nach einem unmöglichen Unterfangen aus. Noah London klagte ununterbrochen im Flüsterton aus dem gegenüberliegenden Bett über seine chronische Schlaflosigkeit. Der Brite hatte sich im Laufe der Zugfahrt als das Paradebeispiel eines Hypochonders herausgestellt. Zu seinen bisher bekannten Leiden, gesinnten sich noch weitere dubiose Krankheiten und eine unendlich lange Liste von Phobien, die Marc bisher vollkommen unbekannt waren. Wer hatte schon Phobophobie? Der Angst vor der Angst, fragte er sich. Jedenfalls konnte einem der Spezialist in Madrid nur Leid tun, der diesen ganz speziellen Härtefall erwartete.
Miguel Campillo schlief zwar, aber redete ununterbrochen in Prosa vor sich hin. Sogar im Schlaf verließ ihn die Liebe zur Sprache nicht. Marc kramte einen Notizblock aus Oles Rucksack, der am Fußende der Pritsche lag und notierte die Verse des Poeten darauf.
Sein Kumpel Ole schlief wie erschlagen in seinem Bett, ohne auch nur eine Regung von sich zu geben. Er hatte noch nie Probleme gehabt irgendwo zur Ruhe zu kommen. Auf einem Rockkonzert hatte er es sogar einmal geschafft in der Pause, vom Mitgrölen ermüdet, auf einem Klappstuhl einzuschlafen ohne, dass er von vorbeigehenden Konzertbesuchern geweckt wurde. Marc musste damals mit großem Bemühen die Ordner davon überzeugen, dass alles in Ordnung war und keine Sanitäter gerufen werden mussten.
Da Marc sowieso nicht schlafen konnte, beschloss er sein Tagebuch hervorzuholen, um darin einen Eintrag zu machen. Sein Seesack hatte sich dabei als überaus unpraktisch herausgestellt. Um das Tagebuch im Inneren des riesigen Beutels wieder zu finden, brauchte Marc etwas Zeit, wobei er vom Hochbett des Briten aus argwöhnisch beobachtet wurde.
Sicherlich hatte der Mann auch Angst ausgeraubt oder getötet zu werden, dachte sich Marc. Das Einzige, was man Noah jedoch hätte überhaupt stehlen können, war sein schwarzer, bis obenhin mit Medikamenten gefüllter Rucksack. Durch einen Mitternachtscocktail, den er sich daraus gezaubert hatte, verfügte er über riesig leuchtende Pupillen, die das Licht des Mondes auf eine unheimliche Weise reflektierten. Mit angsterfüllten Augen blickte er, wie Bambi auf einem missglückten Drogentrip, zu Marc herab, der ihm langsam das Tagebuch im Stil »Columbus« entgegenhielt. Erschrocken wich Noah zurück und vergrub sich vor Angst schlotternd unter seiner Bettdecke.
Zurück im Bett angekommen, schlug Marc das Tagebuch auf und las seinen letzten Eintrag, den er am Tag vor ihrem Aufbruch geschrieben hatte. Er musste dabei einige Male auflachen, was Noah jedes Mal auf seinem Hochbett zusammenzucken ließ. Daraufhin nahm er sich seinen Kugelschreiber in die Hand und notierte ein neues Datum.
19. - 22. Juli 2012
Das waren ein paar verrückte Tage. Ich mache dir eine kleine Zusammenfassung, denn das Meiste wird sowieso unvergesslich in deinem Kopf bleiben.
Du und Ole, ihr seid aufgebrochen um mit dem Zug bis nach
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