Träume(h)r (German Edition)
Bilder, die er bislang in Salema gemalt hatte und erzählte ihm parallel alle Details von ihrer bisherigen Reise. Die beiden so zu sehen, erinnerte Marc an seine Kindheit.
»Was ist mit deinem Zahnarzttermin? Nichts bekommen?«, fragte er, als Ole eine Pause machte.
»Doch, schon. Es ist nur alles beim Alten geblieben!«
Er setzte ein breites Grinsen auf und schaute Marc wie ein Eichhörnchen an, um ihm die Lücke zu präsentieren.
»Du hast dir die Füllung erneut rausgebrochen?«
»Richtig«, antwortete Ole. »Irgendwie kam es auch dieses Mal nicht so wirklich zu einer Unterhaltung zwischen uns. Da musste ich einfach die Initiative ergreifen. Solche Behandlungen dauern aber auch bei kleinen Eingriffen, wie so einer Kunststofffüllung, keine Ewigkeit. Deswegen hatte ich keine Zeit zum Reden.«
Er musste aus Erfahrung sprechen, wenn man sich in Erinnerung rief, wie viele kariesverursachende Mahlzeiten er täglich zu sich nahm.
»Vielleicht sollte ich mir beim nächsten Mal einfach einen Zahn raushauen«, schlug er vor.
»Vielleicht sollte ich dir mal einen Zahn raushauen! Hat das nicht schon wieder Geld gekostet?«, fragte Marc nichts Gutes ahnend.
»Doch, aber glücklicherweise bezahlst du ja meine Rechnungen!«, sagte der Riese frech.
In den kommenden Tagen sollte Ole mehrfach seine Kunststofffüllungen durch eine Reihe unvorhersehbarer Zufälle verlieren. In diesem Wortlaut erklärte er es zumindest dem Zahnarzt, der ihn mittlerweile als Stammkunden freundlich begrüßte und stets das beste Behandlungszimmer für ihn bereit stehen hatte. Marc musste sogar nicht mehr als Zahnersatzversicherung des Riesen herhalten, da dieser seine eigene Einkommensquelle gefunden hatte.
Während Ole fast jeden Abend, nachdem er seinen Blog gepflegt hatte, sich mit seiner Staffelei im Gepäck, am Strand niederließ und die Landschaft malte, trat irgendwann ein begeisterter Engländer an ihn heran. Der dickliche Mann bewunderte die Malerei des Riesen und bat ihn darum sein nicht weniger dickliches Kind zu malen. Ole weigerte sich anfangs, da er kein Interesse daran hatte einen sonnenverbrannten Jüngling zu skizzieren, aber als der Engländer ihm einen Hunderter vor die Nase hielt, überdachte er seine Position noch einmal und wanderte zum Kapitalismus über. Somit erlangte er völlige Unabhängigkeit von seinem Finanzier Marc, der sich nicht weniger über die Nebenbeschäftigung seines Kumpels freute.
»Damit bist du bereits erfolgreicher, als wir es während unserer gesamten Zeit als Fischer waren«, bemerkte Marc, der täglich mitansehen musste, wie die Zahl der Kunden stieg. In Salema hatte Ole eine Marktlücke entdeckt, da es für ihn als Künstler keine Konkurrenz, wie in anderen Urlaubsorten, gab. Von Porträts, bis hin zu Bildern der Landschaft und lustigen Karikaturen. Er konnte alles.
»Siehst du Turtle, mehr Nachfrage, als Angebot. Deshalb läuft es hier so gut!«, erinnerte er sich stolz an eine im Gedächtnis erhaltene Weisheit aus dem Wirtschaftsstudium.
Mit der Liebe hatte er jedoch weniger Glück, weshalb ein Teil von Oles Einnahmen weiterhin für die regelmäßigen Zahnarztbesuche draufging. Marc dachte sich, dass es zweifellos einfacher und garantiert billiger gewesen wäre die Zahnarzthelferin zum Essen oder auf ein Getränk einzuladen, aber er wollte sich nicht in das Handwerk des Meisterverführers einmischen und so vergaß er schon bald, wie der deutsche Michelangelo überhaupt ohne Zahnlücke ausgesehen hatte.
Langsam gestanden die beiden Freunde sich ein, dass sie nicht zum Fischer geboren waren. Die fiktive Jagd auf den Riesenmarlin, die Ole auf der Terrasse beim Essen so eindrucksvoll beschrieben hatte, war ihre einzige Begegnung mit einem der großen Fische geblieben. Verzweifelt benutzten sie unterschiedliche Köder, fuhren mit diversen Angeln hinaus und versuchten es sogar mit Lockrufen, aber alle Anstrengungen waren umsonst. Am Ende blieben nur noch die kuriosesten Ideen übrig, wie das Fischen mit Dynamit oder gezielten Stromstöße unter Wasser, die allesamt wieder verworfen wurden.
Täglich in das Boot zu steigen, war für sie zur reinsten Qual geworden. Wenn sie Abends die Netze aus dem Wasser zogen, mussten sie ohnehin feststellen, dass diese abermals leer waren. Immer öfter schlichen sich Tage ein, an denen sie irgendwelche Entschuldigungen erfanden, um nicht zur See hinausfahren zu müssen. Sprüche wie »Heute ist die Sonne viel zu stark!«, »Ich fühle mich nicht gut« oder
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