Traeumer und Suender
Antiquitätenladen und Coffeeshop aufzuziehen; der Geruch nach Bagels und frischen Eiern drang durch die Ritzen, den ganzen Tag rochen meine Sachen nach einem herzhaften Frühstück. Ich verkroch mich in mein Büro; der Professor, den ich vertrat, irgend so ein groÃer Name aus der Off-Szene, den ich nicht kannte, angeblich hochgerühmt für seine Dokumentarfilme über Flüsse, hatte sich überraschend ein Sabbatical genommen und war nach Deutschland gereist, um einen Film über den Rhein zu drehen. So war die Stelle frei geworden, ich sollte seinen Einführungskurs übernehmen, und ich bekam auch sein Büro gestellt, mit all den klugen Büchern, deren bunteRücken mit all der Kulturtheorie und den Stilblütentiteln,
Deren Revisited: Caught in the Meshes of the Afternoon
oder
Shooting Hollywood
, mich eigentlich ankotzten. Was machte ich hier? Verwöhnte Kids unterrichten, die sich für etwas Besonderes hielten, weil ihre Mittelklasse-Eltern genug Geld hatten, um sie für vier Jahre ihre Hirngespinste, sie seien Schriftsteller, Filmemacher, Tänzer, Musiker oder Künstler, ausleben zu lassen? Und dabei sollte ausgerechnet ich ihnen helfen? Natürlich galt das nicht für alle, die ich unterrichtete, aber die ersten Seminare waren grauenhaft. Ich versuchte, den Professor zu geben, der ich nicht war, mich an den Syllabus zu halten, den mein unbekannter Hot-Shot-Dokumentarfilmer hinterlassen hatte, versuchte, mich dem Unwillen der Studenten zu entziehen, zumeist junge Männer mit
Star Wars-
T-Shirts und riesigen Brillen, dass Sie nun nicht den Helden des kritischen Anti-Establishment-Diskurses vor sich hatten, sondern gerade sein Gegenteil.
Ich begann zu trinken. Im
Black Swan
, der Kneipe neben der Kirche, hatte ich bald meinen festen Deckel. Ich vögelte wahllos; Studenten, Kollegen, die Arbeiter von
Building and Grounds
. Und da traf ich Ralph. Er war keiner meiner Studenten. Er war Tischler. Genau wie Harrison Ford. Haben Sie sich Ralphs Augen einmal angesehen? Durchdringendes Blau, als würden sie an einem schönen Tag im Himmel versinken. Und mit Ralph ging ich zurück nach Hollywood, um es noch mal zu schaffen. Nun, Ralph hat im Film nicht funktioniert, zumindest nicht richtig. Aber sonst ist er gut. Mein Mann für alles.
Aber kommen Sie, machen wir Schluss. Ich muss mich noch ein Weilchen hinlegen; wir treffen uns ja am Abend.»
Der alte Mann hob die Stimme, während der Interviewer speicherte und seine Geräte einpackte.
«Ralph? Ralph? Bringst du uns einen Grappa? Ja, mir auch, einen kleinen! Wird mich nicht umbringen.»
Ralph brachte ihnen zwei Gläser. Der Interviewer spürte, wie er zitterte, als ihn der blonde Riese mit seinem spöttischen Lächeln fixierte. Na, schienen diese Augen zu sagen, willst du mich jetzt in deiner Geschichte haben?
Der Produzent sog genüsslich an dem scharfen Getränk, das dem Interviewer sofort seine unangenehme Filmrissnacht in Cannes vor Augen führte. Er nippte nur etwas, dann stellte er das Glas neben seinen Taschen auf dem Tisch ab. Der Produzent betrachtete das Glas.
«Es ist doch seltsam, dass erst so eine Krankheit einem bewusst macht, wie sehr man die Welt liebt. Wie sehr man an Orten, an denen es einem gut ging, hängt. Man will nicht denken: Vielleicht ist es das letzte Mal, dass ich hier in Venedig bin, aber dann akzeptiert man es. Man akzeptiert es und merkt: Es ist gar nicht so schlimm. Ich habe ein gutes Leben gelebt. Ich habe gemacht, was ich wollte, nicht alles, aber vieles. Und jeder Tag, der noch kommt, ist ein Geschenk.
Vielleicht hänge ich deshalb so sehr an der Geschichte von diesem Honiok. Wie mag der sich gefühlt haben? Ob er gewusst hat, dass sein Leben bald zu Ende gehen würde? Man glaubt das ja nie.»
«Warten Sie!», unterbrach ihn der Interviewer und zog hastig sein kleines Ersatzgerät mit dem eingebauten Surroundmikrofon aus der Tasche und stellte es auf den Tisch. «Das ist wichtig.» Er schaltete auf Aufnahme, hoffte, dass der Pegel einigermaÃen stimmte.
«Ja? Ist es das?» Der Produzent lächelte. «Der Mensch ist so, er kann sich eigentlich genau ausrechnen, was passiert, aber gerade wenn das Schlimmste eintritt, springt etwas in ihm um, und er hofft auf das Beste, so sehr, dass er die Realität bald nicht mehr wahrnehmen kann. Aber auch so, dass er dadurch wieder anfängt zu leben, Pläne zu machen,
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