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Traeumer und Suender

Traeumer und Suender

Titel: Traeumer und Suender Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Goeritz
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auszubrechen, sich eine Zukunft vorzustellen. Das ist seine Kraft. Das ist etwas Gewaltiges. Honiok stammte aus einem kleinen Ort, Hohenlieben bei Preiskretscham, da gab es gerade mal tausend Einwohner. Wir hatten gerade ein Treffen mit den zwei Autoren des Drehbuchs. Honiok galt als intelligent, war klein, sogar etwas verwachsen, sah aber gut aus; er war, wie man über ihn sagte, charismatisch; kam aus einflachen Verhältnissen, hatte eine sehr elegante Handschrift, wie man selbst auf den Ämtern behauptete, war aber nur Vertreter für Landmaschinen geworden. Vielleicht lag das daran, dass er 1921 am Aufstand der Polen teilgenommen hatte. In Polizeiprotokollen erinnerten sich Nachbarn an ein Gewehr und eine rot-weiße Armbinde. Bis 1925 hatte er sogar in Polen gelebt, zwei Jahre lang. Warum er zurückgekehrt war? Die Arbeit, die Liebe, das weiß keiner so genau. Man hat ihn behördlich auszuweisen versucht, aber Honiok wandte sich ans Schiedsgericht für Staatsangehörigkeiten in Genf, direkt beim Völkerbund. Und die entschieden, dass er deutscher Staatsbürger bleiben dürfe, weil er Deutschland nach dem Aufstand der polnischen Minderheiten zwangsweise habe verlassen müssen. Vielleicht hat die auch seine Handschrift beeindruckt, straffällig ist er aber nie gewesen, und so bleibt es irgendwie ein Rätsel: Wieso gerade Honiok? Wieso gerade er? Aber ist es nicht immer so? Die Geschichte sucht sich ihre Opfer unter den Unschuldigen aus. Sicher aber hat die Vorgeschichte von ‹Franz›, wie er in Deutschland hieß, gepasst. Die Gestapo hatte ihn auf dem Zettel, von überallher bekam sie Meldungenaus dem, wie es damals hieß: ‹Minderheitenbereich›. Ich stelle mir irgendeine braune Akte vor, in der Stapostelle Oppeln oder Spionageabwehr. Irgendein Dr. Müller schlägt sie auf, bleibt irgendwie an irgendwas hängen, und schon ist das Leben eines ganz normalen Menschen zerstört. Ein kurzer Weg zur ‹Konserve›. Jedenfalls wurde ‹Franz› Honiok als Sympathisant mit der polnischen Sache am 30. August ’39 in Hohenlieben festgenommen. Stellen Sie sich eine Kneipe vor, richtig urig, so alte Eichentische und Rehgabeln an den Wänden. Zwei Männer mit Schlapphüten kommen rein, zur Mittagszeit, in Ledermänteln, obwohl es nicht kalt ist. Draußen regnet es. Ja, ich weiß, der August ’39 war ein trockener Monat, aber Wetter ist immer gut für die Dramatik. Also: Blickwechsel, Schuss, Gegenschuss, die Wirtin putzt nervös ihre Theke. Sie denkt: Gestapo. Für einen kurzen Moment herrscht Schweigen im Raum. Die beiden sehen sich um, wie Geier, oder nein, wie Habichte, die nach Feldmäusen Ausschau halten. Dann Schnitt: Ihre gewichsten Stiefel bewegen sich, das stumpfe Dröhnen auf dem Parkett, alte staubige Bohlen, ihre nassen, schmutzigen Abdrücke. An der Bar sagt einer: ‹Bier.› Sie trinken im Stehen, schweigend. Sie nehmen die Hüte nicht ab. Dann fragen sie die Wirtin nach ihrem Sohn. Sie hat Angst, natürlich hat sie Angst. Wer von uns hätte denn nicht Angst! Gestapo! Und dann kommt der Landjäger herein, unterwürfig, stellt sich zu den Ledermännern. Der erste, der nach dem Bier gefragt hat, fragt nun den Polizisten: ‹Haben sie Schließzeug?›
    Und der Landjäger hält zitternd seine Handschellen hoch. Das wäre auch ein Anfang, ein guter Anfang! Wie bei Sergio Leone oder Hemingway. Die Wirtin hat inzwischen ihren Sohn geholt, Friedhelm. Und der Zuschauer weiß bei so einem Anfang nichts, fast nichts. Er denkt: Jetzt ist der Junge dran. Aber die Gestapoleute wollen ihn zu Franz Honiokschicken, um ihn in die Wirtschaft zu locken. Er soll sagen, es gäbe dort zwei Kunden für ihn, die landwirtschaftliche Geräte bestellen wollten. Der Junge ist so aufgeregt, dass er zu den falschen Honioks geht, da ist kein Franz, und der Junge kommt zitternd zurück, und vor der Kneipe klärt dann der Landjäger auf, dass er zu den falschen gegangen sei, und daraufhin schlägt ihm der eine Gestapomann, der, der noch gar nichts gesagt hat, mit einer Handschuhhand ins Gesicht, der Junge stürzt, man sieht seine aufgerissenen Augen, die gleich anfangen wollen zu weinen, und das Blut fließt aus seinen aufgeplatzten Lippen. In Großaufnahme.
    Und dann stapfen die drei zur Polizeistation und holen einen Inspektor in Zivil, der den verdatterten Honiok abholt und ans

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