Träumst du noch oder küsst du schon?: Roman (German Edition)
Wahl.
Ein schrilles Kläffen draußen vor der Tür lässt mich vom Bildschirm aufschauen, und ich sehe gerade noch, wie die Tür aufgeht und Magda hereinkommt. Sie trägt ein schlichtes fuchsienfarbenes Jackie-O-Kleid und passende Hochhackige, dazu eine Sonnenbrille, so groß, dass es beinahe aussieht, als hätte sie eine Schweißerbrille auf der Nase.
»Morgen«, trompete ich fröhlich und laufe hin, um ihr zu helfen. In einem Arm trägt sie Valentino, unter dem anderen hat sie ein großes Paket.
»Ach, Lutzi!«, schnauft sie ganz außer Atem. »Danke, danke.«
Vorsichtig nehme ich das Paket aus ihrer Umklammerung und folge ihr pflichtbewusst über den polierten Betonboden der Galerie, über den sie mit winzigen Trippelschrittchen schwebt, weil ihr Kleid so eng ist.
»Es tut mir so leid, dass ich so spät dran bin«, plappert sie weiter und streicht sich vollkommen unnötig über die Frisur, um sich zu vergewissern, dass ihre Haare immer noch wie gelackt liegen. »Schrecklich leid.«
»Aber das macht doch nichts, halb so schlimm.« Ich lächele, dann frage ich: »Wo soll ich das hinstellen?« Ich weise auf das Paket.
»Irgendwohin, einfach irgendwo. Ist mir egal.« Sie schnieft abwehrend und wedelt mit der diamantenbesetzten Hand herum, als sei sie ein Raumspray. Langsam geht sie zu einem
Stuhl und setzt sich umständlich. »Solange ich es nicht sehen muss.«
»Was ist es denn?«, will ich wissen und lehne das Paket an die Wand.
»Ein Bild. Von meiner Tante Irena.«
»Oh, sie hat Ihnen ein Bild geschenkt?« Meine Neugier ist geweckt, und ich beäuge interessiert das Paket und frage mich, was für ein Gemälde es wohl sein mag.
»Wenn man es denn so nennen will«, gibt sie düster zurück. »Sie hat es mir in ihrem Testament vermacht.«
»In ihrem Testament?« Ich drehe mich auf dem Absatz herum und gucke Magda an. Eben hatte ich angenommen, sie habe die Sonnenbrille an, weil sie mal wieder einige kleine »Verschönerungsmaßnahmen« hatte durchführen lassen, aber jetzt fällt mir auf, dass ihr Gesicht ziemlich rot und fleckig ist, sogar unter den vielen Make-up-Schichten. Und sie schnieft. »Himmel, es tut mir so leid. Das wusste ich nicht«, stammele ich hastig. »Wann ist sie denn …?«
»Am Wochenende«, entgegnet sie, zerrt ein Päckchen Taschentücher aus ihrer Tragetasche und putzt sich geräuschvoll die Nase.
»Oh nein.« Schnell knie ich mich neben sie und drücke ihr tröstend die Hand. »Kam es ganz unerwartet?«
»Wenn man sechsundneunzig ist, kann man nicht gerade behaupten, so etwas komme unerwartet.« Mit ausgestreckten Händen zuckt sie die Achseln. »Sie hatte ein schönes Leben.«
»Kommen Sie denn zurecht?«, frage ich besorgt.
»Ich komme über die Runden«, entgegnet sie schulterzuckend und putzt sich abermals die Nase.
»Nein, ich meinte, was Ihre Tante angeht.«
»Oh, ja, ja.« Sie nickt. »Alles ganz wunderbar.«
Aufmerksam betrachte ich ihr fleckiges Gesicht, halb versteckt hinter der Sonnenbrille, und plötzlich möchte ich sie
am liebsten in den Arm nehmen. »Nein, es ist nicht alles wunderbar«, höre ich mich zu meinem eigenen Erstaunen plötzlich sagen. So direkt bin ich normalerweise nicht.
Magda scheint sich ebenfalls zu wundern, denn sie schaut mich ziemlich schockiert an.
Ganz kurz denke ich, sie ist böse auf mich, und muss schwer schlucken. »Ich meine, ist es doch nicht, oder?«, frage ich und versuche krampfhaft, das Zittern in meiner Stimme zu unterdrücken.
Eine kleine Pause entsteht, und dann scheint sie innerlich zusammenzubrechen, klappt zusammen wie ein fuchsienrosa Bügelbrett, und nur ihre Schulterpolster und die Bienenkorbfrisur gucken noch heraus. Sprachlos sehe ich zu, wie beides leise bebt, und dann geht mir plötzlich auf, dass sie schluchzt.
»Ach herrje, Mrs. Zuckerman …«
Hilflos stehe ich da und fühle mich vollkommen nutzlos. Ich weiß überhaupt nicht, was ich tun soll. Ich versuche, höflich zu sein und ihr nicht zu nahe zu treten, schließlich ist sie meine Chefin, und ich bin ihre Angestellte. Da kann ich sie nicht einfach umarmen und »Schon gut, schon gut« flüstern.
Ach, zum Teufel mit Nicht-zu-nahe-Treten.
»Schon gut, schon gut«, rede ich beruhigend auf sie ein und bücke mich, um sie fest in die Arme zu nehmen. Bis eben war mir gar nicht richtig bewusst, wie zierlich sie eigentlich ist, aber es kommt mir fast vor, als würde ich ein kleines Kind umarmen. »Keine Sorge, es wird alles gut. Sie ist jetzt an einem
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