Träumst du noch oder küsst du schon?: Roman (German Edition)
nassen Handtücher zusammen und stopfe sie in den Wäschekorb. Dann reiße ich den Wäscheschrank auf, aber darin herrscht leider gähnende Leere. Mist. Wo sind denn die ganzen Handtücher hin? Dann fällt es mir wieder ein. Mindestens fünf Stück hängen über der Stuhllehne in meinem Zimmer. »Ähm, tut mir leid, wir haben keine mehr.«
»Keine Sorge, ich bin sowieso schon fast wieder trocken«, entgegnet er ein klein wenig pikiert. »Fertig?«
»So gut wie. Muss mich nur noch schnell fertig schminken.« Nachdem ich mir das Geschmiere um die Augen wieder abgewischt habe, weil ich damit aussah wie Tao Tao, der Pandabär, muss ich dringend wenigstens ein bisschen Wimperntusche auftragen.
»Du hattest doch eine ganze Stunde Zeit. Was hast du denn so lange gemacht?« Er lacht zwar, aber ich höre den ärgerlichen Unterton in seiner Stimme.
Oder bilde ich mir das alles bloß ein, und es ist mein eigener Ärger, den ich da zu hören glaube? Ich widerstehe dem Drang, alles einzeln aufzuzählen, was ich in der vergangenen Stunde gemacht habe, in nackter Panik, wohlgemerkt, aus Angst, ich könne mich verspäten. Stattdessen erwidere ich fröhlich: »Möchtest du solange was trinken?«
»Ein Wasser wäre nett.«
»Ich habe kein Mineralwasser. Wäre Leitungswasser auch okay?« Ich will schon in die Küche sausen.
»Nicht? Tja, dann lieber nicht.« Nate rümpft angewidert die Nase. »Du kennst mich ja – ich trinke nur Mineralwasser.«
»Ach ja, klar«, murmele ich nickend und komme mir ziemlich blöd vor. Wir stehen in unserem winzig kleinen Flur, und auf einmal kommt er mir noch enger und vollgestellter und schäbiger vor als sonst.
»Verdammt. Was ist das denn?« Er hat sich den Kopf an einer geschnitzten Holzmaske gestoßen, die an der Wand baumelt.
»Die ist von einem Stamm aus Äthiopien«, erkläre ich und rücke sie rasch wieder gerade. »Die hat meine Mitbewohnerin mitgebracht. Ich glaube, sie soll böse Geister vertreiben.«
»Was du nicht sagst.« Er betrachtet das Ding missbilligend mit gerunzelter Stirn.
»Okay, ich hole nur schnell meine Tasche, dann können wir los.« Je schneller wir hier raus sind, desto besser, sage ich mir, während ich meine Schlafzimmertür öffne. Hastig sprinte ich
hinein und suche verzweifelt nach der Wimperntusche. Kann mir ja auch noch auf dem Weg zur Party im Taxi die Wimpern tuschen.
»Das ist also dein Zimmer?«
Als ich mich umdrehe, steht Nate in der Tür und schaut sich um und sieht sich jedes Detail ganz genau an.
»Ähm, ja genau, ist es. Es ist ein bisschen klein … und ich habe nicht viel Stauraum für meine Klamotten«, füge ich schnell hinzu, als ich merke, wie er den Kleiderstapel auf der Stuhllehne kritisch beäugt, »aber mir gefällt’s.« Und dann suche ich weiter verzweifelt nach der Wimperntusche.
»Es ist sehr … bunt«, meint er und wählt das Wort sehr sorgfältig.
»Na ja, ich mochte ja schon immer gerne kräftige Farben.«
Dreck, wo ist die blöde Wimperntusche? Ich schaue unter meinen anderen Schminksachen nach, die überall auf meinem Frisiertisch verstreut liegen. Sie muss doch hier irgendwo sein.
»Jedenfalls hast du eine Menge Kram, wenn man bedenkt, dass du gerade erst vor ein paar Wochen nach New York gezogen bist.«
Ich schaue vom Frisiertisch auf und sehe, wie Nate ungläubig meine Bücherregale betrachtet, die vollgestopft sind mit Bildern, Zeitschriften, alten Skizzenblöcken und meiner Muschelsammlung, für die ich bisher noch keinen guten Platz gefunden habe.
»Was ist das denn?«
Er hat eine der Zeitschriften herausgezogen und beäugt sie mit hochgezogenen Augenbrauen. »Hast du da so einen Fragebogen ausgefüllt …?«
Und plötzlich weiß ich, was er da in der Hand hat. Er hat den Fragebogen gefunden. Mir wird heiß und kalt.
»Och, das?«, murmele ich, bemüht, ganz beiläufig zu klingen, während ich ihm das Heft hastig aus der Hand reiße. Gestern
hätte ich es ihm wahrscheinlich noch gezeigt und mit ihm zusammen darüber gekichert – Nate hätte es bestimmt total süß gefunden –, aber heute …
Aus den Augenwinkeln sehe ich die Wimperntusche auf dem Bett liegen und stürze mich darauf wie ein Adler im Sturzflug.
Heute ist das anders. Irgendwas hat sich verändert.
»Dummes Zeug«, erkläre ich abwertend, werfe die Zeitschrift in den Mülleimer und schnappe mir meine Handtasche. »Okay, los geht’s.«
Die Party ist bereits in vollem Gange, als wir ankommen. Na ja, ich sage zwar »in vollem
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