Trainspotting: Roman (German Edition)
interessant. Manchmal hab ich die Wahrheit gesagt, manchmal hab ich gelogen. Wenn ich gelogen hab, hab ich manchmal Sachen erzählt, von denen ich dachte, daß Forbes sie hören wollte, und manchmal Sachen, wo ich dachte, daß er sich drüber aufregt oder daß sie ihn verwirren.
Aber verdammt will ich sein, wenn ich da irgend ne Beziehung zwischen dem Kram und meinem Sgag gesehen hab.
N paar Sachen hab ich aber aus dem gelernt, was Forbes mir verriet und was meine eigenen psychoanalytischen Forschungen, wie mein Verhalten zu interpretieren ist, hergaben. Ich hab n ungeklärtes Verhältnis zu meinem toten Bruder Davie, weil ich nich in der Lage war, meine Gefühle über sein katatonisches Leben und seinen daraus folgenden Tod herauszuarbeiten oder auszudrücken. Ich hege ödipale Gefühle meiner Mutter und eine damit verbundene ungelöste Eifersucht meinem Vater gegenüber. Mein Drogenverhalten ist vom Konzept her anal, ein Flehen um Aufmerksamkeit, doch statt den Kot zurückzuhalten, um gegen die elterliche Autorität zu rebellieren, führe ich meinem Körper Sgag zu, um gegenüber der Gesellschaft im allgemeinen Macht über ihn zu beanspruchen. Bekloppt, nich?
Ob das stimmt oder nich, keine Ahnung. Ich hab ne Menge drüber nachgedacht, und ich bin gewillt, da weiterzubohren; ich hab keinerlei Abwehrhaltung dem gegenüber. Allerdings hab ich das Gefühl, daß das im Falle meiner Sucht im besten Fall von peripherer Bedeutung is. Ich glaub, Forbes is genauso aufgeschmissen wie ich.
Molly Greaves, die klinische Psychologin, beobachtete mein Verhalten und versuchte es zu ändern, ohne die Gründe für dieses Verhalten zu suchen. Forbes hatte anscheinend seinen Beitrag geleistet, und nun wars an der Zeit, daß ich wieder vernünftig wurde. Zu der Zeit war ich in nem Entzugsprogramm, das einfach nich funktionierte, danach in der Behandlung mit Methadon, aber das machte alles bloß noch schlimmer.
Tom Curzon, der Drogenberater, ein Kerl, der eher von der Sozialarbeit als von der Medizin herkam, stand auf klientenzentrierte Beratung nach Rogers. Ich bin in die Zentralbibliothek und hab Carl Rogers’ »Entwicklung der Persönlichkeit« gelesen. Ich fand das Buch beschissen, aber ich muß zugeben, Tom kam dem, was möglicherweise die Wahrheit sein könnte, am nächsten. Ich verachtete mich selbst und die Welt, weil ich mich nich mit meinen eigenen Beschränkungen und denen des Lebens abfinden konnte.
Sinnlose Beschränkungen zu akzeptieren, scheint also geistige Gesundheit, nichtabweichendes Verhalten auszumachen.
Erfolg und Mißerfolg bedeuten einfach Befriedigung und Frustration des Begehrens. Begehren kann vorzugsweise internalisiert sein und auf individuellem Antrieb beruhen, oder extern, hauptsächlich gesteuert durch Werbung und gesellschaftliche Rollenmuster, die in den Medien und der populären Kultur verbreitet werden. Tom meint, daß mein Verständnis von Erfolg und Mißerfolg allein auf individueller Ebene abläuft und nicht auf einer individuell-gesellschaftlichen. Da ich gesellschaftliche Gratifikationen nicht anerkenne, kann Erfolg (und Niederlage) für mich stets nur kurzfristige Erfahrung sein, da diese Erfahrung nich durch die von der Gesellschaft sanktionierte Duldung von Reichtum, Macht, Status, usw. oder im Falle einer Niederlage durch Stigma und Ablehnung aufrechterhalten wird. Tom zufolge isses also völlig sinnlos, mir zu sagen, daß ich die Examen gut bestanden oder einen guten Job bekommen hab oder mit ner netten Braut losgezogen bin; diese Art von Anerkennung bedeutet mir nichts. Natürlich genieße ich das eine Zeitlang, auch um ihrer selbst willen, aber ihr Wert kann nicht aufrechterhalten werden, weil ich die Gesellschaft, die sie hochschätzt, nich anerkenne. Was Tom mir also zu sagen versucht, is, daß ich n Scheißdreck drauf geb, glaub ich. Aber warum?
Also wieder zurück zu meiner Entfremdung von der Gesellschaft. Das Problem dabei is, daß Tom meine Ansicht nicht teilt, daß die Gesellschaft nicht wesentlich gebessert werden oder ich mich nicht ändern kann, um damit zurechtzukommen. Ein solcher Zustand führt zu Depressionen, die ganze Wut richtet sich nach innen. Das jedenfalls sei eine Depression, sagen sie. Allerdings führt Depression auch zu Demotivation. Eine Leere tut sich in einem auf. Der Stoff füllt diese Leere und hilft mir dabei, meinen Wunsch zu befriedigen, mich selbst zu zerstören; so also kehrt sich die Wut wieder nach innen.
Im allgemeinen muß ich Tom zustimmen.
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