Trallafitti: Kriminalroman (German Edition)
und tat sich sichtlich schwer damit, zu
sagen, was er sagen wollte. Eine Locke, die er entlang seines rechten Ohres nicht
zu bändigen vermochte, zeichnete eine scharfe Kontur vor dem Himmel. »Es ist nur
so: Ich könnte im Augenblick einen Freund vertragen.«
Ich nickte
und verschnürte die Arme vor meiner Brust. Gregor benahm sich seltsam. Er schien
mir fast fremd. »Nikotinentwöhnung, ja?«, sagte ich. »Du solltest besser nicht mit
dem Rauchen aufhören. Du wirst nur dick davon. Außerdem würde dann gar nichts mehr
von dem übrig bleiben, was ich gekannt habe.«
Gregor lachte
schwach und Fältchen bildeten sich um seine Augen. »Glaub mir. Du hast mich noch
nie wirklich gekannt.«
10.
Der Karton mit der Post, die Anastasios
für mich gesammelt hatte, war glücklicherweise nur halb gefüllt. Nachdem ich es
in den letzten Tagen geschafft hatte, mich immer wieder an der Kiste vorbeizuschleichen,
begann mich diesmal das schlechte Gewissen zu plagen, und ich setzte mich, kaum,
dass ich zu Hause angekommen war, vor dem Karton auf den Boden und las. Allein die
Hälfte des Papierkrams bestand aus Werbung und Infopost, und zum ersten Mal war
ich glücklich darüber, mit Broschüren, Werbebriefen und Flyern zugemüllt zu werden.
Anschließend knöpfte ich mir die Rechnungen vor. Weder Absender noch Beträge waren
eine Überraschung für mich, obschon ich mich an einige offene Posten nicht gleich
zu erinnern vermochte. Ich legte das komplette Sammelsurium auf der Küchenarbeitsplatte
ab.
Für heute
hatte ich mir genug Stress gegönnt.
Ich warf mich auf das Sofa, legte
die Füße hoch und den Laptop auf meinen Bauch. Das Gebläse am Boden des Gerätes
wärmte mich. Ich surfte ein wenig herum, prüfte meinen E-Mail-Account und las die
aktuellen Nachrichten. Es war einiges los in der Welt. Aufmüpfige überall, die keine
Lust mehr auf ihr Regime hatten. Doch auch in Düsseldorf gab es Neuigkeiten zum
Selbstmord des Politikers Schwarzinger. Er und seine Frau waren Ende September in
seinem Büro in Düsseldorf erhängt aufgefunden worden und ich kam nicht umhin, mir
die ganzen Geschichten darüber durchzulesen. So etwas kam nur alle paar Jubeljahre
vor, insbesondere die hitzköpfigen Debatten, die daraus resultierten und welche
von der Polizei in den Griff gebracht werden mussten. So erklärte der Kommissionsverantwortliche
des LKA in einer Pressekonferenz ausdrücklich, dass keine Fremd-DNA an den Stricken
gefunden wurde. Auf die Frage nach weiteren genetischen Spuren am Tatort hüllte
er sich in Schweigen. Ich hielt dies nicht für verwunderlich. Das LKA würde kaum
auf die Idee kommen, sämtliche Politiker, Diplomaten oder Mitarbeiter, die Schwarzingers
Büro in letzter Zeit betreten hatten, zur Abgabe einer Speichelprobe einzuladen.
Ganz zu schweigen davon, dass die Hälfte der Gäste wahrscheinlich keinem Auslieferungsabkommen
unterlag.
Zu guter
Letzt ließ der LKA-Abgesandte verlautbaren, dass die Untersuchung des Abschiedsbriefes
andauerte – was der Angelegenheit allerdings nur noch mehr Feuer verlieh.
Sowieso
war der Onlinebeitrag mit spitzfindigen Kommentaren des Redakteurs durchsetzt. So
titulierte er Schwarzinger als den neuen Uwe Barschel, nicht zuletzt, weil sich
Schwarzinger durch seine harschen Äußerungen über den Kaschmir-Konflikt ein paar
Feinde gemacht hatte. Unter anderem ließ er durchsickern, dass die Untersuchung
des Abschiedsbriefes nicht einfach nur andauerte, sondern aus Sicherheitsgründen
wiederholt werden musste. Und das sei ein Indiz für Unstimmigkeiten. Ohnehin ließ
der Kommentator keine Zweifel aufkommen, dass er auf einen gewaltsamen Tod spekulierte.
Auch ich
hielt die Story für außerordentlich seltsam. Nicht nur aufgrund der Absurdität,
dass ein Politiker im Zenit seiner Karriere sein Leben beendete. Insbesondere fragte
ich mich, wie man auf den Trichter kommen konnte, sich zwei Stricke inklusive Frau
mit ins Büro zu nehmen, um sich ausgerechnet dort zu erhängen.
Der Selbstmord
war ein Statement, ganz ohne Frage.
Und was
auch immer im Abschiedsbrief gestanden hatte; die Polizei hatte sicherlich gute
Gründe dafür, diesen nicht zu veröffentlichen.
Ich ließ
Schwarzingers Namen durch die Suchmaschine rasseln und las mich durch seine Biografie.
Wie erwartet schien der Typ eine Bilderbuchkarriere hingelegt zu haben.
Eduard Richard
Konstantin Schwarzinger, geboren 1955 in Kassel, war Leiter der Düsseldorfer Niederlassung
des Beauftragten für Menschenrechtspolitik
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