Transsibirien Express
in Bochum …«
»Lassen Sie Ihre unangebrachten westlichen Vergleiche, Werner Antonowitsch!« rief Karsanow erregt.
»Ich bin mit einem Mann von Perm nach Swerdlowsk gefahren«, sagte Milda und die Zunge schien ihr zu versagen.
Die Scham, jetzt weiterzusprechen, solche Dinge der Öffentlichkeit preiszugeben, brachte sie fast um.
»Aha!« warf Karsanow bloß ein. »Weiter!«
»Er war Ingenieur für Mineralogie. Er hatte einen Wolgawagen. Wir übernachteten in einem kleinen Gasthaus in Sarancinskij. Er … er war mein erster Kunde …«
Sie warf den Kopf herum, drückte ihr kleines Gesicht an Forsters Brust und weinte laut wie ein Kind.
Forster streichelte ihr Haar und küßte ihren zuckenden Nacken.
»Sie Sadist!« sagte er gepreßt. »Wollen Sie ihre Seele völlig zerstören? Hören Sie doch endlich auf!«
»Oh, ich fange erst an, Werner Antonowitsch. Eine Seele! Soll ich mich biegen vor Lachen? Seit wann hat eine Dirne eine Seele? Wo andere Menschen so etwas Ähnliches haben könnten, klingeln bei ihr die Rubelstücke! Milda Tichonowna, flüchten Sie sich nicht ins Heulen, das hilft Ihnen gar nichts! Sie haben mit einem Mann übernachtet, gut! Dann hatten Sie auch Geld! Warum sprangen Sie also als blinder Passagier auf diesen Zug?«
»Ich hatte kein Geld!« schrie Milda gegen Forsters Brust. »Er hat mich betrogen …«
»Betrogen? Wieso?«
Milda drehte sich wieder um. Ihr Gesicht war tränenüberströmt, die Schminke, die ihr Klaschka aufgeschmiert hatte, war verlaufen. Ein kleiner trauriger Clown lehnte da, von aller Welt verlassen, ausgesetzt und hilflos …
»Als ich am Morgen aufwachte, war sein Bett leer, der Wagen weg, nicht einen Rubel hatte er dagelassen. Auch seinen Namen kenne ich nicht. Er nannte sich Wadim. Nur Wadim!«
»Ich denke, ihr arbeitet nur gegen Vorauszahlung?« fragte Karsanow giftig.
»Sie ist eben eine Anfängerin!« rief Forster befreit. »Da haben Sie es! Glauben Sie es nun endlich?«
»Sehr rätselhaft! Sehr, sehr rätselhaft.«
Karsanow blickte wieder aus dem Fenster.
Der Zug schlich jetzt nur noch durch die Taiga, der Schneesturm rüttelte an den Fenstern, der vorher wie gehäkelt aussehende weiße Vorhang war zu einer weißen Wand geworden.
Man konnte nichts mehr erkennen, nur noch Massen von Schnee, die der Sturm mit ungeheurer Gewalt gegen den Zug schleuderte.
»Und was dann?«
»Ich bin mit einem Bauernfuhrwerk nach Swerdlowsk gefahren. Dort habe ich gewartet, bis der Transsib kam. Man hat mir erzählt, daß man hier viel Geld verdienen kann.«
»Und in Perm gab es keine Arbeit? Keine vernünftige Arbeit? Was haben Sie eigentlich gelernt, Milda Tichonowna? Sie sind doch nicht als Dirne zur Welt gekommen? Wo ist Ihr Vater? Was macht Ihre Mutter? Haben Sie keine ehrbaren Geschwister?«
»Mein Vater ist mit einem Kranwagen verunglückt. Meine Mutter ist darüber trübsinnig geworden und lebt in einer Anstalt in Perm. Mein älterer Bruder ist Maschinenschlosser. Er ist verheiratet, hat seine eigene Familie, eine kleine Wohnung … ich bin ganz allein …«
»In unserem Staat ist niemand ganz allein, der nicht ganz allein sein will! Fassen wir zusammen: Sie gehören zu jenen Jugendlichen, die herumstreunen, die unseren Aufbau sabotieren, indem sie ihm ihre wertvolle Arbeitskraft entziehen. Jugendliche, die nach westlichem Muster herumlungern und hoffen, daß die fleißigen Werktätigen sie mit ernähren. Schmarotzer also! Dreckig und verkommen, in der Gosse zu Hause oder – wie Sie – in den Betten fremder Männer! Ich möchte diesem unbekannten Wadim die Hand drücken, daß er Sie um Ihren Lohn gebracht hat.«
»Sind Sie fertig mit Ihrer Arie?« fragte Werner Forster provozierend. Er steckte zwei Zigaretten an und schob eine zwischen Mildas schmale Lippen.
Sie hustete nach dem ersten Zug, krümmte sich nach vorn und spuckte die Zigarette auf den Boden.
»Und was wissen Sie nun, Pal Viktorowitsch? Sind Sie klüger als vorher?«
»Allerdings!« Karsanow zeigte erneut sein böses Lächeln. »Ich weiß jetzt, daß sie lügt …«
Es war wieder einer jener Augenblicke, in denen es eiskalt durch Forsters Körper rann. Auch er wußte, daß Milda gelogen hatte …
Gerade zur rechten Zeit tauchte Mulanow, der Schaffner, auf. Klaschka hatte ihm alles erzählt und ihn angefleht, Milda beizustehen, so gut das noch möglich war.
»Sieh an, sieh an, ein Oberst des KGB!« hatte Mulanow mit düsterem Blick gesagt. »So ein Bursche ist er also. Deshalb telefoniert er
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