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Transzendenz

Transzendenz

Titel: Transzendenz Kostenlos Bücher Online Lesen
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genannte ›Temperaturmaximum im Paläozän-Eozän‹. Es fand vor ungefähr fünfundfünfzig Millionen Jahren statt, zehn Millionen Jahre nach dem Aussterben der Dinosaurier.« Es hatte einen deutlichen Anstieg der globalen Temperaturen gegeben, eine drastische Erhöhung um fünf oder zehn Grad in einem »geologischen Augenblick« – einer so kurzen Zeit, dass sie in den Gesteinsablagerungen nicht festzustellen war, vielleicht binnen Jahrzehnten, vielleicht sogar im Lauf weniger Jahre. Gleichzeitig war eine gewaltige Menge Kohlendioxid in die Luft injiziert worden. Es war eine große Gashydrat-Freisetzung gewesen, genauso wie am Ende des Perms.
    Und genauso wie das Ereignis am Ende des Perms vom gewaltigen Vulkanismus der sibirischen Trapps ausgelöst worden war, so schien der Vulkanismus auch im Eozän der Auslöser gewesen zu sein. In tief liegenden Sedimenten unter dem Meer vor der norwegischen Küste war Lava durch Schlote aus den Magmakammern aufgestiegen und in die Hydratschichten entlang der Kontinentalhänge eingedrungen. Die Lava hatte nicht einmal die Oberfläche durchbrochen; für einen Vulkanausbruch also keine große Sache. Doch als die Lava ihre Hitze abgeladen hatte, waren die eisartigen Kristalle geschmolzen, in denen die Gase gefangen gewesen waren, und die Hydratlager waren hoch gegangen. Wir betrachteten Bilder von Sedimentschichten, die über geleerten Hydratschichten zusammengebrochen waren, und von riesigen vertikalen Rissen, den Überresten von Kanälen, wo die freigesetzten Gase sich ihren Weg zur Oberfläche gebahnt hatten.
    Das Methan hatte den Meeresboden erreicht, war in gewaltigen Fontänen wie jener, die Tom überlebt hatte, nach oben gebrodelt und hatte zweifellos jede Menge lokaler Schäden angerichtet. Aber das war erst der Anfang gewesen. Sobald das Methan den Ozean und die Luft erreicht hatte, war es zu einer komplizierten Abfolge chemischer Reaktionen gekommen. Das Methan reagierte nämlich munter mit Sauerstoff, ein Prozess, der selbst Wärme freisetzte. Die Produkte dieser Reaktionen waren weitere Kohlenwasserstoffe, Wasser – und Gigatonnen von Kohlendioxid: noch mehr Treibhausgas.
    »Und der Rest«, sagte Shelley, »ist Geschichte. Das Ereignis war nicht annähernd so schwerwiegend wie die Katastrophe am Ende des Perms, weil nur ein Bruchteil der globalen Hydratvorräte freigesetzt wurde. Aber es hat ordentlich gespritzt, und der gesamte Kohlenstoffpool der Erdoberfläche wurde gestört. Man findet die Spuren immer noch in isotopischen Ungleichgewichten und dergleichen. Schließlich wurde das überschüssige Kohlendioxid durch die Erdsysteme -Fotosynthese, Verwitterung – wieder aus der Atmosphäre geholt. Aber das dauerte Jahrtausende, vielleicht sogar Jahrmillionen. Und währenddessen gab es einen Erwärmungszacken.«
    »Im Eozän war der Auslöser also dieser unterseeische Vulkanismus«, meinte Sonia. »Aber heute…«
    »Heute«, sagte Shelley, »ist der Auslöser die anthropogene globale Erwärmung. So weit ich es erkennen kann, hat Gea Recht, Michael. Wir haben mit dem Kohlendioxid und anderem Dreck, den wir in die Luft geblasen haben, schon längst mindestens den gleichen Schaden angerichtet wie die vulkanischen Störungen der Vergangenheit. Die anthropogene Klimaerwärmung, die wir bereits verursacht haben, wird dazu führen, dass die Hydratlager instabil werden. Zumindest wissen wir, was auf uns zukommt«, sagte sie mit Grabesstimme. »Unterschiedliche Ursachen, aber gleiche Wirkungen: So viel lehrt uns die Fossilüberlieferung.«
    »Und der Zeitraum?«, fragte Tom.
    »Wie Gea gesagt hat«, antwortete Shelley. »Ein Jahrzehnt oder weniger. Tatsächlich ist die Destabilisierung schon im Gange. Wie ihr wisst…«
    Wir ließen das auf uns wirken.
    Während Sonia ihrer selbst gewählten Aufgabe nachkam, all dies aufzuzeichnen, war ihr kleines Gesicht zu einem Ausdruck des Missfallens verzogen. Die pragmatische Soldatin hatte einige Schwierigkeiten damit, in solchen gewaltigen Dimensionen von Raum und Zeit zu denken, dachte ich.
    »Okay«, sagte sie. »Wir können es uns also nicht leisten, diese Hydrate hochgehen zu lassen. Da sind wir uns einig, oder? Und was tun wir nun dagegen?«
     
    Wir sahen uns alle misstrauisch an. Dies war die entscheidende Frage – und der knifflige Teil.
    Wir waren eine von Schuldgefühlen geplagte Generation. Präsidentin Amin und das Patronat hatten uns beigebracht, dass wir unsere Lebensweise ändern mussten; jetzt lebten wir alle viel

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