Transzendenz
am Rand meines Blickfelds rotblonde Haare aufblitzten und ich eine leise Stimme vernahm. Und diese Erscheinungen traten häufiger auf als je zuvor, viel häufiger, manchmal öfter als einmal pro Tag. Ich wollte mich nicht mit ihr befassen, nicht auf diese Weise, nicht wenn ich derart gepeinigt wurde, und ganz bestimmt nicht an einem Tag wie diesem.
Aber dann sah ich sie wieder, diesmal auf der anderen Seite des Zelts. Und als ich woanders hinschaute, war sie auch dort, diesmal nah an dem kleinen Podium an der Vorderseite des Zelts. Es war, als teleportiere sie hin und her.
Ich schnappte mir einen Wodka Tonic vom Tablett eines schwebenden Bots und kippte ihn rasch hinunter.
John kam auf mich zu, ein Whiskyglas in der Hand und eine kleine, dunkle, energische Gestalt im Schlepptau: Jack Joy, der Lethe-Schwimmer. Es schien John gar nicht recht zu sein, dass der Bursche sich an ihn drangehängt hatte. Aber schließlich hatte er Jack überhaupt erst ins Spiel gebracht, und da die Schwimmer Geld in das Projekt steckten, hatte Jack selbstverständlich das Recht, hier zu sein.
Jack Joy hielt mir die Hand hin, aber seine irrealen Finger streiften nur meinen Ärmel; er grinste entschuldigend. »Tut mir Leid, dass ich meinen Arsch in seiner ganzen Pracht nicht hierher schaffen konnte. Verpflichtungen, dringende Angelegenheiten – Sie kennen das ja. Ist aber wirklich schade, dass ich nicht bei Ihnen sein kann. Schauen Sie sich um, der Himmel ist voller kostenlosem Schnaps…«
Ich war mit den Gedanken bei Morag, und es interessierte mich nicht, was der Mann zu sagen hatte. Ich sah John an. Zum ersten Mal seit Wochen trafen wir uns persönlich. Wie üblich fühlte ich mich auf diese komplizierte emotionale Weise zu meinem Bruder hingezogen, in einer Mischung aus Rivalität und hilfloser Liebe. »Da wären wir also«, sagte ich.
John zuckte die Achseln. »Wir sind eine seltsame Familie. Bei einer solchen Veranstaltung versammeln wir uns persönlich, aber zu einer Beerdigung schicken wir VR-Projektionen.«
Ich hob die Schultern. »George hat immer gesagt: ›Wir Pooles sind ein komischer Haufen.‹«
»Wenn du es sagst. Jedenfalls bist du der Poole, ich bin ein Bazalget, vergiss das nicht.« Er musterte mich eingehend, und ich glaubte zu wissen, was ihm im Kopf herumging: Morag, das ganze Phänomen, das sich zu einem solchen Problem zwischen uns ausgewachsen hatte. Aber wir konnten jetzt nicht miteinander reden, nicht, wenn Jack Joy daneben stand.
»Ich habe gerade zu Ihrem Bruder gesagt: Ist das nicht ein eindrucksvoller Ort?«, meinte Jack, an mich gewandt. »Prudhoe Bay, der ganze Ölkomplex. Ich meine, schauen Sie sich um. Für die Vereinigten Staaten war es eine historische Errungenschaft, dass sie hier oben eine Ölindustrie aufbauen konnten, in arktischer Dunkelheit und Kälte, viele tausend Kilometer von der Zivilisation entfernt. Ebenso gut hätte man auf dem Mond eine Ölindustrie aus dem Boden stampfen können. Da oben wäre es vielleicht sogar leichter gewesen, weil man hier überall von dieser verdammten Tundra umgeben ist. Wissen Sie, man macht eine Reifenspur in dieses Zeug, und sie bleibt ewig bestehen…« Sein Ton war abgehackt, er sprach schnell und warf mir immer wieder ein nervöses Grinsen zu. Er schwitzte, eine kleine virtuelle Ungereimtheit im klimatisierten Komfort des Zelts.
»Sie halten also nichts vom Umweltschutz, Jack«, sagte ich.
»Ob ich was davon halte oder nicht, damals war er eben in Mode. Und das ist er immer noch.« Er ballte eine Hand zur Faust. »Wer in unserer heutigen Zeit etwas erreichen will, wird von Gemecker behindert: Schade diesem nicht, störe jenes nicht. Ich sage immer, wenn Gott nicht gewollt hätte, dass wir den Planeten umgraben, hätte er uns nicht den Bagger geschenkt.« Er nickte, als wolle er sich selbst überzeugen. »Und am Ende ist das alles bloß dummes Zeug.«
»So?«
»Natürlich! Sehen Sie sich die kostbare Tundra an, auf die die Bohrarbeiter nicht mal pissen durften. Als der Permafrost geschmolzen ist, hat sie sich in einen Sumpf verwandelt! Was haben also all diese Bemühungen zu ihrer Bewahrung gebracht? Gar nichts. Sie haben die Leute nur dabei gestört, ihren Job zu erledigen, das ist alles.«
Ich wandte mich an John. »Denken die Schwimmer alle so?«
Er schien sich zunehmend unwohl zu fühlen. Dieser Kerl gehört nicht zu mir. »Die Schwimmer sind ein toleranter Haufen, Michael. Wir leben in komplizierten Zeiten, mit schwierigen, miteinander
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