Transzendenz
nehmen Wassermoleküle beim Gefrieren nur schwer eine massive Struktur an. Deshalb enthält »massives« Eis viel leeren Raum – Platz genug, um andere Moleküle, wie beispielsweise Methan, darin einzusperren. Und auf dem Meeresboden wird eine Menge Methan erzeugt; dort unten gibt es nicht viel Sauerstoff, und anaerobe Zerfallsprozesse setzten große Mengen des Gases frei. Deshalb waren überall um die Pole herum riesige Mengen Methan, Kohlendioxid und andere flüchtige Stoffe in Hydratlagern eingesperrt, die von den niedrigen Wassertemperaturen und dem Druck des Landes und des Wassers über ihnen stabil erhalten wurden.
Wenn die Temperatur stieg, brach der natürliche Käfig auf. Die Folge waren »Methan-Rülpser« wie jener, mit dem Tom zu seinem Pech Bekanntschaft gemacht hatte.
Aber dabei handelte es sich um ein örtlich begrenztes Ereignis, erkannte ich, so tödlich es war, wenn man zufällig hineingeriet. Die Klimaerwärmung war jedoch mit Sicherheit ein globales Phänomen. In den Hydratschichten dort unten lagerte mehr Methan als in allen fossilen Brennstoffreserven der Welt, und obwohl Methan in der Atmosphäre nicht so lange stabil bleibt, ist es kurzfristig ein zwanzigmal so starkes Treibhausgas wie unser alter Freund Kohlendioxid. Was also würde passieren, fragte ich mich vage, wenn das so weiterginge, wenn alles Methan freigesetzt würde? Ich blätterte mich auf meinem Softscreen durch viele Seiten, um einen Gedankengang zu verfolgen, der mit Toms Unfall begonnen hatte. Aber meine Fragestränge liefen ins Leere; mein Softscreen hatte keine Antworten für mich. Ich lehnte mich zurück und hangelte mich an einem Spekulationsfaden entlang.
Zugegeben, ich wusste nicht viel über die Erderwärmung, über die klimatischen Veränderungen in der Arktis oder sonstwo. Warum sollte ich auch? Der Planet erwärmte sich, mein Körper wurde älter, das gehörte alles zu der Welt, in der ich aufgewachsen war; entweder man ließ sich von solchen Dingen verrückt machen, oder man akzeptierte sie und lebte sein Leben weiter. Und außerdem hatten wir das Automobil abgeschafft, wir hatten die Notwendigkeit akzeptiert, das Patronats-Programm durchzuführen. Wir bewältigten die Schmerzen, oder nicht? Aber wenn diese Hydratlager instabil wurden… In mir keimte der Verdacht, dass sich hier eine ganz üble Nachricht verbarg. Und auf einer gewissen Ebene wollte ich einfach nichts davon wissen.
Konnte man irgendetwas dagegen tun? Ich löschte den Softscreen, griff zu einem Stift und begann zu zeichnen.
Das Drumherum des Fluges lenkte mich immer wieder ab.
Wenn ich das Fahren schon vermisse, so fehlt mir das Fliegen noch mehr. Als ich noch klein war, flogen meine Eltern ständig zu anderen Orten. Auf dem Höhepunkt ihrer beruflichen Laufbahn hatten sie den Markt für Firmenveranstaltungen in Miami Beach weitgehend unter Kontrolle, und es verging kaum ein Wochenende, an dem sie nicht eine Vertriebskonferenz oder ein Seminar für Marketingstrategie in dem einen oder anderen Hotel organisierten. All das fand vor Ort statt, aber um die Verträge unter Dach und Fach zu bringen, mussten sie zu ihren Kunden reisen. Wenn es sich einrichten ließ, nahmen sie uns Kinder mit – John und mich. Unsere Lehrer machten dann häufig Ärger; damals musste man noch die vorgeschriebenen fünf Tage pro Woche zur Schule gehen. Aber ob es nun gut war oder nicht, meine Eltern steckten die Schläge ein, und wir flogen.
Wir Kinder fanden es toll, die Geschäftszentren im ganzen Land zu sehen, von New York bis San Francisco, von Chicago bis Houston. Ein paar Mal reisten wir nach Übersee, nach Europa, Afrika und einmal sogar nach Japan, obwohl meine Mutter sich Sorgen über die Auswirkungen solcher Langstreckenflüge auf unsere jungen Körper machte. Die ganze Sache war ungeheuer lehrreich.
Aber am tollsten fand ich das Fliegen selbst. Ich genoss den schlichten Aufenthalt in einer großen Maschine, die die Energie besaß, sich in den Himmel zu katapultieren. Es war immer faszinierend für mich, in einen großen Flughafen zu kommen und all die anderen Lichtpunkte am Himmel sowie die nachtfalterartigen Formen weiterer Flugzeuge am Boden zu sehen; man bekam ein reales Gespür für die Millionen Tonnen Metall, die jede Minute jedes Tages über den kontinentalen Vereinigten Staaten in der Luft hingen. Das ist nun natürlich alles vorbei. Heutzutage fliegt niemand mehr – niemand außer den Superreichen. Es ist dieselbe Logik, die zum Verschwinden des
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