Transzendenz
Angst nicht als »unangemessen« galten.
Wir erreichten den Bunker. Die Mauer funkelte von eingebetteten Prozessoren. Vander legte die Hand auf ein in der Mauer eingelassenes Bedienungselement, und eine Tür glitt beiseite. Er scheuchte uns nervös vorwärts, und wir eilten hinein; während die Tür offen stand, ertönte die ganze Zeit ein ohrenbetäubender Summton. Als sich die Tür zischend hinter uns schloss, versammelten sich von Objektiven glitzernde Drohnen in der Luft um uns herum.
Im Innern war der Bunker hell erleuchtet; in die Decke waren Lichtstreifen eingelassen. Von innen sah er sogar noch kleiner aus als von außen, und er war voller Gerüste, auf denen weiß bekittelte Techniker mit Haarnetzen an Terminals arbeiteten oder mit den Händen in der Luft herumfuhrwerkten, um VR-Interfaces zu manipulieren. Einige schauten misstrauisch auf uns herab.
Vander führte uns in eine Ecke des Bunkers. Hier war ein kleiner Raum abgeteilt worden, nicht viel größer als eine Toilettenkabine; über der Tür leuchtete ein rotes Licht. Wir mussten draußen warten, bis Gea für uns bereit war. Vander wirkte angespannt, als rege sich sein Gott.
Das Zentrum der Anlage bildete ein Konstrukt aus Stützvorrichtungen und Instrumenten. Das Herz war eine pechschwarze Kugel von nur wenigen Metern Durchmesser, eingebettet in ein Gerüst aus unförmig aussehenden technischen Elementen -Rohre, Leitungen und riesige, protzige Finnen. Beim größten Teil dieser Gerätschaften schien es sich um eine auf Hochtouren arbeitende Kühlvorrichtung für die zentrale Kugel zu handeln. Aber Drähte schlängelten sich daraus hervor, und Laserlicht umflackerte sie, die sichtbaren Zeichen ein und aus gehender Datenströme.
In Geas Kern befinde sich ein Quantenprozessor, erklärte uns Vander. Im Innern dieser pechschwarzen Kugel wurden die ineinander verflochtenen Möglichkeitsstränge aufgedröselt, aus denen unsere Wirklichkeit besteht, und jeder separate Strang fungierte erstaunlicherweise als Rechenkanal. Die raffinierte Nutzung seltsamer Quanteneffekte wie Verschränkung und Superposition in Computerprozessoren hatte die Grundlagenwissenschaft der Quantenphysik vorangetrieben. Dennoch verstand niemand wirklich, wie diese Maschinen funktionierten – jedenfalls kein Mensch.
»Gea und ihresgleichen haben uns in Bezug auf reinen Intellekt bereits weit hinter sich gelassen«, sagte Vander voller Verehrung. »Nehmt zum Beispiel die Mathematik. Seit dreißig Jahren hat kein Mensch mehr ohne fremde Hilfe auch nur einen einzigen Elementarbeweis vorgelegt. Heutzutage machen das die Computer. Unser Job besteht darin, uns eingehend mit ihren Entdeckungen zu befassen und die Folgerungen herauszuarbeiten. Wir sind intuitiv und emotional; uns kommt noch immer eine Lenkungsrolle zu. Aber die ›klugen Köpfe‹ sind jetzt die Computer. Wir werden nie wieder imstande sein zu verstehen, was sie tun.«
»Nie? Das ist eine gewagte Behauptung«, warf Shelley ein.
»Ich meine es ernst. Im Kern von Geas Biosphären-Modellierung liegt ein nonlineares Problem mit Millionen von interagierenden Variablen. Aber unsere Gehirne sind nur für eine Welt mit lediglich drei Dimensionen ausgerüstet, und deshalb kommen wir nicht weiter als bis zu Problemen mit einer Hand voll Variablen, weil wir die Lösungen nicht visualisieren können. Da liegt unsere fundamentale intellektuelle Grenze. Gea kann den qualitativen Inhalt einer Gleichung sehen: Sie sieht den plätschernden Bach in den Gleichungen der Flüssigkeitsmechanik, den Regenbogen in den Formeln des Elektromagnetismus. Das können wir einfach nicht.«
»Okay«, sagte ich unbehaglich. »Also, wie sieht unsere Zukunft aus?«
Er lachte. »Schon wieder Frankenstein? Es gibt nichts, wovor ihr Angst haben müsstet. Das habe ich euch doch gesagt. Ich kenne Gea so gut wie nur irgendjemand. Je klüger man ist, desto mehr versteht man, desto mehr liebt man.«
»Liebe? Glauben Sie wirklich, Gea liebt uns?«
»O ja«, sagte dieser seltsame Bursche mit dem Cowboy-Body, den blauen Haaren und dem Gebaren des weltfremden Wissenschaftlers. »Gea wird nicht zulassen, dass uns etwas geschieht, wenn sie es verhindern kann.«
»Und worauf warten wir?«, fragte Shelley.
»Auf Geas Zeichen.«
Ich warf Shelley einen Blick zu. Sie zuckte die Achseln. »Vander, soll das ein Scherz sein?«, sagte ich. »Man muss warten, bis sie Lust hat, mit einem in Verbindung zu treten?«
Er schaute ein wenig verlegen drein und zerzauste sich den
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