Trapez
gehört? Wir besprechen jetzt die kommende Saison, nicht was passiert ist. Setzt euch hin! Alle beide!«
Johnny sank zurück auf die Kaminbank, und nach einer Weile sah Tommy, wie er nach Stellas Hand griff. »Tut mir leid, Kleines«, murmelte er. »Tut mir leid, Angelo.
Aber das ging irgendwie unter die Gürtellinie. Auf jeden Fall glaube ich, dass Liss uns gerade ganz schön aus der Bahn geworfen hat.«
Papa Tony wartete, bis sie alle ganz ruhig waren.
»Noch was?«
»Ich war noch nicht zu Ende«, sagte Mario. »Bei einer kleinen Show wie Lambeth könnten wir weiterarbeiten, uns verbessern; bei einer großen beginnen wir die Saison so, wie wir sie auch beenden werden.«
»Trotzdem«, sagte Papa Tony, »ich glaube, dass es für diesen Schritt Zeit ist. Hört zu, Kinder! Dies wird meine letzte Saison sein.«
»Warum, Papa?« sagte Joe und sprach zum ersten Mal , seit Lucia sie verlassen hatte. »Pierre Regny ist mit siebzig noch Doppelte geflogen, und Gerard Might hat mit zweiundachtzig noch Perche-Akrobatik gemacht!«
Papa Tony kicherte. »Ich habe keinen Ehrgeiz, als der älteste Luftakrobat der Welt angekündigt zu werden. Vor zweiundfünfzig Jahren waren mein Bruder Rico und ich in einem Wurfakt mit meinem Vater – kennst du noch die alten Wurfakte, zwei Fänger an festen Stangen, und ein Flieger zwischen ihnen? Nachdem wir dem spanischen Team bei ihrem ersten Flugund Rückkehrakt in Wien zugesehen hatten, haben wir uns angeschaut und gesagt: ›Na ja, wir brauchen sowieso ein neues Trapez.‹ Wir machten unser Fliegernetz selbst von Hand in dem Winter.« Er rieb sich nachdenklich seine Fingerknöchel.
»Und das war der Anfang der ›Flying Santellis‹. Zwei Jahre danach sind wir mit Starrs nach Amerika gekommen. Fünfzig Jahre, das ist genug. Wenn die alten Knie knorrig werden, wenn jede Stadt genauso wie die andere aussieht, und wenn man bloß an der Farbe des Schlammes erkennen kann, in welchem Staat man ist, dann ist es Zeit, zu Haus’ am Kamin zu bleiben. Alles, was ich jetzt möchte ist, zu sehen, dass ihr Jungen euch etabliert und bekommt, was ihr verdient. In diesem Jahr, ja, da gehe ich noch mit, ich kümmere mich um euch, aber ihr braucht mich nicht. Wenn ich euch jetzt so ansehe, sehe ich, dass Matt der Beste sein wird, den es gibt. Tommy und Stella direkt hinter ihm, vielleicht gar nicht hinter ihm. Ich sehe dich, Angelo, so nüchtern, so gewissenhaft, bereit sich um die Familie zu kümmern, wenn ich nicht mehr bei euch bin. Und auch du, Johnny – wir streiten, wir kommen nicht miteinander aus, aber du kämpfst für das, was du willst, und es ist gut, wenn du lernst, dich zu beherrschen, wenn du lernst, für die Familie zu kämpfen, nicht bloß für dich selbst. Elissa, ich weiß nicht – sie hat ihr Leben. Ich möchte mich nicht einmischen, nicht, wenn es so wie jetzt ist.« Für einen Moment sah er traurig aus. Dann seufzte er und lächelte. »So, ich habe alles getan, was ein Mann tun kann. Ich habe die ›Flying Santellis‹ wieder zusammen. Wenn der Herrgott mich leben lä ss t, werde ich euch alle eines Tages in der Hauptmanege sehen. Aber danach bin ich nur der alte Mann am Kamin.
Ein ganzes Leben lang habe ich alles gehabt, was ein Mann haben kann, ohne dass der Teufel eifersüchtig wird.« Er stand im Feuerschein, seine dunklen Augen spiegelten sein seltenes, wunderschönes Lächeln wider.
»Ich frage mich, wie viele Männer das von sich sagen können?«
KAPITEL 23
Der Woods-Wayland-Eisenbahn-Zirkus mit den drei Manegen war eine verwirrende, neue Welt für Tommy.
Nach der Intimität des Zirkus Lambeth war er so verblüfft und verloren wie jeder Artist in seiner ersten Spielzeit.
Im Schlafwagen der unverheirateten, männlichen Artisten teilten sich Tommy und Mario ein winziges Abteil in einem Korridor mit zwei Dutzend solcher Abteile. Angelo und Papa Tony hatten eins nebenan. Stella und Johnny teilten sich ein anderes im angrenzenden Wagen, der für verheiratete Paare reserviert war. Die Santellis wurden nicht wie Stars behandelt wie die drei oder vier Hauptattraktionen der Show, die private Wagen oder großzügige Salonabteile hatten. Aber andererseits, als wichtige Artisten auf den Plakaten angekündigt, waren sie auch nicht in die dreistöckigen Etagenbettwagen der verschiedenen Clowns, Reiter, Jongleure und kleineren Artisten gepfercht worden.
Angelo sagte einmal, dass er froh sei, dass Liss und Barbara in dieser Saison nicht mit ihnen reisten. Als unverheiratete
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