Trattoria Finale
lachend drei Tassen auf und stellte sie auf den Küchentisch. »Kinder, nehmt euch viel Zucker, der hat es in sich.«
Während Rachel und Aglaia sich bedienten, überlegte die betagte Sizilianerin, wo sie beginnen sollte.
Es herrschte reger Betrieb in dem großen Haus an der Via Cappuccini. Die Männer hatten Tische und Bänke im Innenhof aufgestellt. Jetzt saßen sie rauchend im Schatten des großen Olivenbaumes, der inmitten des Hofes prangte, während die Frauen mit der Dekoration und den letzten Vorbereitungen zum Essen beschäftigt waren.
»Bist du aufgeregt?«, fragte Geertje die neben ihr mit einem Basilikum-Pesto hantierende Ornella.
»Sicherlich nicht so sehr wie die Mama, die auf ihren Jungen wartet«, entgegnete Ornella und wischte sich die grün verschmierten Hände an der Schürze ab.
Geertje lachte und strich sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht. »Liebchen, ich weiß, wie ein junges Herz schlägt. Das Herz einer Mutter ist groß, aber das einer jungen Frau, die verliebt ist, pumpt heißes Blut durch ihren Körper.«
Ornella, die nicht nur wegen ihrer Liebe zum Kochen mit Basilikum, sondern hauptsächlich in Anerkennung ihres imposanten Vorbaus von allen Basilica genannt wurde, lächelte verlegen. »Ach, so ist das doch gar nicht«, meinte sie.
»Aber nein, natürlich nicht.« Die blonde Frau lachte nun noch lauter, sodass die anderen zu ihnen herübersahen. »Püppchen, ich habe zu viel gesehen, als dass man mir zu dem Spiel zwischen Männern und Frauen noch etwas vormachen könnte.«
Natürlich, dachte Ornella, sagte aber nichts weiter dazu. Don Violenza hatte keinen Hehl daraus gemacht, wo er die schöne Geertje kennengelernt hatte, und sie selbst störte es auch nicht. Die absonderliche Doppelmoral der katholischen Süditaliener belustigte die Holländerin eher. Basilica wusste das, und jeder Gedanke daran brachte ihr Blut in Wallung. Immerhin schien Geertje nichts dagegen zu haben, dass Ornella Pellegrino seit ihren Kindertagen das einzige Mädchen gewesen war, für das sich Ettore Violenza jemals interessiert hatte. Es war für alle eine ausgemachte Sache, dass die beiden eines Tages heirateten, wenn er nicht vorher umgebracht würde.
»Sie kommen, sie kommen!«, riefen die Kinder von der Straße her. Alle sahen zur Hofeinfahrt, wo der schwarze Bugatti Type 57 Stelvio gerade einrollte. Geertje und Ornella eilten dem Wagen entgegen, der vor dem Olivenbaum hielt. Drei Männer stiegen aus: Don Giuseppe Violenza, der den Wagen gefahren hatte, sein Sohn Ettore und ein dritter junger Mann, der Basilica völlig fremd war. Geertje umarmte ihren Sohn und rief dabei erschrocken aus: »Um Gottes willen, wo sind deine Haare? Was haben die dreckigen Moffen nur mit dir gemacht?«
Ettore strich sich lachend über den Kopf. »Mama, die Deutschen hätten mir das Haar gelassen. Gib den Amerikanern die Schuld, es musste leider sein. Krieg ist Krieg.« Er küsste die Mutter und sah aus dem Augenwinkel Ornella, die mit geröteten Wangen auf ihn zukam. Er jedoch drehte sich zu dem jungen Fremdling um und sagte: »Mama, ich möchte dir Jacques Assaraf vorstellen. Wir haben uns in Paris kennengelernt und schon einiges miteinander durchgemacht.«
Jacques machte ein, zwei Schritte auf Geertje zu. Seine Stiefel klackten seltsam auf dem Kopfsteinpflaster. Ornella hörte, dass seine Sohlen mit Metall beschlagen waren. Sie beobachtete, wie er Ettores Mutter die Hand gab und sich artig vorstellte.
»Autsch, das hat wehgetan«, sagte Aglaia mitfühlend.
»Nicht so sehr, wie man glauben möchte«, erwiderte Ornella und strich sich über ihr langes weißes Haar. »Ich war mit ihm aufgewachsen, hatte gesehen, was andere junge Männer taten und wie sie mit uns Mädchen umgingen. Ettore war immer schon anders gewesen. Man sprach nicht darüber, aber als Jacques aus dem Wagen stieg und Ettore ihn seiner Mutter vorstellte, wussten alle Bescheid. Aber natürlich verlor man kein Wort darüber. Ich galt als Ettores Verlobte, und das bin ich auch heute noch. Natürlich schlief Jacques in Ettores Zimmer, die beiden waren wie aneinander angewachsen.«
»Homosexualität war wohl ein Tabu im Italien des Jahres 1947«, meinte Rachel.
»Ach«, fauchte Ornella. »Es war und ist eine Krankheit. Kommt wohl von dem schrecklichen Fraß, den der arme Junge von seiner holländischen Schlampenmutter bekommen hat.«
»Was?« Rachel musste lachen.
»Oh ja«, bekräftigte Ornella ernsthaft. »Da gibt’s leider nix zu lachen. Hätte
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