Trauerspiel
und hören, ob sich die Gerichtsmedizin schon gemeldet hat. Das glaube ich zwar kaum, aber es könnte ja sein. Ich denke, wir sind in einer Stunde bei dir. Geht das?»
Susanne nickte. «Weißt du, ich fühle mich richtig mies. Wegen Julia, klar, aber auch, weil das jetzt schon der zweite Mord ist, mit dem ich zu tun habe. Fast kommt mir das wie ein Fluch vor.»
Arne nahm Susanne in den Arm. «Na hör mal, Pfarrerinnen kann man doch nicht verfluchen. Ich bin zwar kein Profi-Christ wie du, aber ich glaube, solche Flüche gibt's nicht.»
Tanja schüttelte den Kopf. Sie dachte an die Mülltonnen, hinter denen Julias Leiche gelegen hatte. «Ich weiß nicht, ob es Flüche gibt. Aber es gibt das Böse, das ist mir jedenfalls seit meiner Zeit in Rumänien klar. Und wer auch immer dieses Mädchen umgebracht hat – dieser Mensch ist böse.» Tanja hatte so scharf gesprochen, dass Arne und Susanne sie ganz erstaunt ansahen. So kannten sie ihre Freundin gar nicht. Die nahm ihre Reaktion gar nicht wahr und starrte ins Leere.
Dann gab sie sich einen Ruck und fragte Arne: «Wo steht dein Wagen?»
Susanne lehnte das Angebot, sie nach Hause zu fahren, dankend ab. Sie brauchte jetzt noch ein paar Schritte an der frischen Luft, unter einem Abendhimmel, so weit und schön über Mainz gespannt, dass es schier unmöglich schien, dass unter diesem Himmel etwas Trauriges geschehen konnte.
* * *
Arne, Tanja und Susanne saßen im Wohnzimmer von Susannes geschmackvoll eingerichteter Altbauwohnung. Arne hatte seinen Lieblingsplatz eingenommen, einen alten englischen Clubsessel, den Susanne einmal mit viel Mühe von Paris, wo sie das gute Stück auf einem Flohmarkt entdeckt hatte, nach Deutschland transportiert hatte. Tanja hockte auf einem von Susannes maltesischen Holzstühlen und Susanne selbst lehnte an einem Regal, das ihr ehemaliger Freund Jens passgenau in die Schrägen der Wände eingefügt hatte. Sie war viel zu aufgeregt, um stillzusitzen. Ständig fummelte sie an einem Springteufelchen herum. Ihr Bamberger Freund Philipp Laubmann hatte ihr dieses Prachtexemplar als Zeichen seiner innigen Verbundenheit überreicht – er sammelte Teufel. Tanja war genervt.
«Stell das Ding hin, wenn du noch mal den Deckel aufschnappen lässt, dann schmeiße ich dieses geschmacklose Teil aus dem Fenster.»
Susanne war beleidigt. «Hör mal, das ist ein wundervoller Springteufel, den…»
«Stell es hin, oder es war ein Springteufel!»
Arne rettete die Situation. «Zurück zum Thema. Bitte erzähle noch einmal genau, wie das war, als Julia dich angerufen hat.»
Susanne stellte den Springteufel ins Regal und konzentrierte sich. «Also, das war kurz vor dem Bibelkreis. Etwa um halb acht. Ich wollte schon losgehen, als das Telefon klingelte. Julia war dran und wollte mich unbedingt persönlich sprechen. Ich habe ihr den Freitag vorgeschlagen, aber sie wollte am liebsten sofort kommen. Das ging ja nicht, wegen des Bibelkreises. Sie hat dann gedrängelt und gebeten und da hab ich ihr gesagt, o.k., wenn es unbedingt sein muss, dann komm heute Abend nach dem Bibelkreis. Der ist etwa um zehn zu Ende. Wenn Herr Dr. Kremer dabei ist, der in jungen Jahren noch Bultmann und Barth persönlich gehört hat und verhinderter Pfarrer ist, also wenn der mitmacht, dann kann es allerdings auch viertel nach zehn werden. Immer wenn ich etwas zu einer Bibelstelle erkläre, schüttelt Kremer bedauernd den Kopf und sagt, wobei er mich nie direkt anschaut, sondern so knapp über mich weg, ‹also Barth damals in Bonn, der hat das aber anders interpretiert›, und dann erklärt er wortreich, was Barth damals, angeblich, so erklärt hat. Jedenfalls, wenn Kremer dabei ist, dann kann es länger dauern. Aber Kremer war nicht gekommen, er ist mit Studiosus auf Kreta, die arme Studiosus-Leiterin tut mir herzlich leid, und deshalb war der Bibelkreis schon um zehn zu Ende. Ich habe dann aufgeräumt und auf Julia gewartet.»
Tanja hakte nach: «Du bist in St. Johannis in dem Raum geblieben, in dem der Bibelkreis stattgefunden hatte?»
Susanne nickte. «Ja, ich war die ganze Zeit im Raum.»
«Und du bist nicht vor die Tür gegangen und hast nach Julia Ausschau gehalten?»
Susanne schüttelte den Kopf. «Nein, ich habe aufgeräumt, darüber nachgedacht, ob ich noch Zeit haben werde, zu deiner Fete zu gehen. Dann habe ich mir überlegt, was Julia wohl von mir will und wo sie bleibt. Eigentlich ist sie immer ziemlich zuverlässig. Als sie um halb zwölf noch nicht da war,
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