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Trauerspiel

Trauerspiel

Titel: Trauerspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vera Bleibtreu
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es auch darum, mehr von dem Mädchen zu erfahren, das sie am nächsten Freitag beerdigen sollte. Apropos Beerdigung – Susanne kam es plötzlich unpassend vor, heute Abend etwas anderes als Schwarz zu tragen. Schlicht wäre sicher auch angemessen, damit fielen die kniehohen Stiefel weg. Schließlich entschied sie sich für ein ärmelloses Kleid aus schwarzem Samt, das allerdings einen ziemlich gewagten Ausschnitt hatte (ihre überflüssigen Pfunde hatten zumindest an dieser Stelle ihres Körpers angenehme Folgen), sie wählte dazu schwarze Samtpumps mit hohen roten Absätzen als Blickfang.
    «Nicht schlecht», meinte Arne anerkennend mit Blick auf ihr Dekolleté.
    «Warum schauen Männer immer als erstes auf die Hände?», neckte Susanne ihn.
    «Weil wir sehen wollen, ob die Schöne schon vergeben ist», konterte Arne und gab Susanne einen zarten Kuss auf die Stirn. «Komm, wir wollen Verdi nicht warten lassen.»
    * * *

«Bei denen hat Julia mitgesungen», flüsterte Arne Susanne ins Ohr, als auf der Bühne das Volk den Sieg Otellos über die Türken mit einem Freudenfeuer und dem dazu passenden Lied feierte. Regisseur Thorsten Braun hatte die Inszenierung allerdings weniger fröhlich als puristisch schwarz-weiß angelegt. Susanne fand, dass schon ihre roten Absätze einen wohltuend farbenfrohen Akzent lieferten, langsam schmerzten ihre Augen beim Anblick des Trübsinns auf der Bühne. Ein Freudenfeuer und ein feierndes Volk hätte sie persönlich eher farbenfroh angelegt, aber – sie war ja auch Pfarrerin und keine Regisseurin oder Bühnenbildnerin. Der zweite Akt begann auch nicht bunter. Jetzt leuchtete das Susanne aber auch eher ein, denn Jago war gerade dabei, seine düstere Intrige wei ter fortzuspinnen. Nach einem kurzen Rezitativ leitete das Orchester die Arie des Jago ein. Ganz allein stand der Sänger auf der Bühne. Mit etwas schlechtem Gewissen blickte Susanne auf den Text, der oberhalb der Bühne die deutsche Übersetzung der Verse Arrigo Boitos bot. Sie hatte einmal in einem Interview mit der Sängerin Anja Silja gehört, dass Opernsänger nichts mehr hassen als die Blicke der Zuschauer, die über ihre Köpfe hinweg den Fließtext verfolgen. Trotzdem, jetzt musste es sein. Die Blechbläser klangen unisono und der Bariton stimmte an: «Credo in uno dio crudele.» Das kam ihr zwar dank ihrer Lateinkenntnis in etwa übersetzbar vor, aber sie wollte doch wissen, was genau Jago gerade von sich gab. Auch Arne schaute nach oben. Beide lasen und blickten sich unwillkürlich an.
    «Das darf doch nicht wahr sein!», flüsterte Susanne so laut, dass die ältere Dame neben ihr missbilligend mit der Zunge schnalzte, obwohl sie selbst noch am Ende des ersten Aktes während des Liebesduettes von Otello und Desdemona ein Hustenbonbon derartig geräuschvoll ausgepackt hatte, dass von den ergreifenden Tönen nur die Hälfte zu vernehmen war. Auch Arne hatte gelesen, was Susanne aufgefallen war. «Ich glaube an einen grausamen Gott» stand da ganz unmissverständlich.
    «Da hat sie es her», flüsterte Arne, und die alte Dame schnalzte noch einmal mit der Zunge.
    «Ich glaube an einen grausamen Gott», murmelte Susanne, und der alten Dame blieb vor Empörung nichts anderes übrig, als in das infernalische Gelächter der Geigen hinein ein weiteres Hustenbonbon langsam auszuwickeln.
    * * *
    Sie hatte graue Augen, die weit auseinander standen und die sie mit grauem Kajal leicht betont hatte, lange, leicht blondierte Haare und eine unglaublich gerade Nase, die die perfekte Länge besaß, nicht zu lang und nicht zu stupsig. Um den Hals hatte sie elegant lässig einen silbrig schimmernden Schal geschlungen – es war kühl an diesem Abend – und statt eines Gürtels zwei Lederbänder durch die Laschen ihrer Jeans gezogen. Sie trug kleine Perlenohrringe, eine weiße Bluse und eine graue Jacke. Sie war sehr schlank und sehr hübsch und sehr unglücklich. Und sie erzählte ihr Unglück ihrer Freundin, die sie gerade auf dem Handy angerufen hatte. Tanja blieb gar nichts anderes übrig, als der unbekannten jungen Frau, die ihr im Café am Nebentisch gegenübersaß, beim Telefonieren zuzuhören.
    «Komisch, dass alle Handynutzer meinen, sie wären ganz allein auf der Welt und telefonierten ganz privat», dachte Tanja. «Dabei spricht ein Mensch immer lauter, wenn er telefoniert, und alle können mithören, wenn das in der Öffentlichkeit passiert.»
    «Er ist so gemein, das kannst du dir gar nicht vorstellen», sagte das Mädchen

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