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Trauerspiel

Trauerspiel

Titel: Trauerspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vera Bleibtreu
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gerade. «Nach außen hin ist er aufmerksam und so höflich, hilft mir in den Mantel und so weiter. Aber wenn wir dann alleine sind, dann wird er richtig fies, weißt du. Dir kann ich es ja erzählen, er sagt dann, du hast doch zu viel getrunken, dabei habe ich fast gar nichts getrunken, kaum ein Glas. Wenn ich ihm das sage, dann meint er: Wer weiß, was du vorher getrunken hast. Und wenn ich mich dann verteidige, dann kriegt er so einen harten Zug um den Mund, und er sagt Sachen, die kann ich dir gar nicht erzählen, wirklich. Aber später, dann weint er, und er fleht mich an, ihm zu verzeihen, dass er so ist. Er sagt, er versteht nicht, wie er mich so verletzen konnte. Aber jetzt, da hat er mich nicht etwa nach Hause gefahren, gerade mal bis zur Haltestelle, ich bin dann mit dem Bus in die Stadt, dabei hätte er mich mit einem kleinen Umweg bis zum Café bringen können. Aber das bringt er nicht. Er nicht. Sag mir mal, warum ich ihn liebe. Ja, das ist lieb, dass du das sagst. Ich will dir nicht die Ohren volljammern. Ja, das ist lieb. Es ist einfach schwer. Danke, dass du mich angerufen hast.» Das Handy verschwand unter dem Tisch. Tanja war nachdenklich geworfen. Ihr gegenüber saß ein wirklich ausgesprochen hübscher Mensch. Eine junge Frau, fast noch ein Mädchen, Tanja bezweifelte, dass sie schon ihr Abitur bestanden hatte. Wer könnte Freude daran haben, einem solch reizenden Geschöpf Leid zuzufügen? Das Mädchen hatte Tränen in den Augen und rote Flecken im Gesicht.
    «Lass ihn sausen», dachte Tanja im Stillen, und sie hätte diesen Rat am liebsten laut geäußert. Dabei ahnte sie, dass gerade dieses Mädchen niemals in der Lage sein würde, ihrem merkwürdigen Freund die Stirn zu bieten. Weiter kam Tanja aber nicht in ihren Gedanken, denn Wolfgang Jacobi war gerade zur Tür hereingekommen. Seine Präsenz füllte sofort den ganzen Raum aus. Auch das Mädchen, das gerade telefoniert hatte, blickte interessiert. Tanja kannte keinen Mann, der solch eine Wirkung auf seine Umgebung hatte und sich zugleich scheinbar überhaupt nicht dafür interessierte.
    «Mein Schatz», zärtlich strich Wolfgang Jacobi über Tanjas Hand, das junge Mädchen blickte etwas enttäuscht und wandte sich dann wieder ihrem Handy zu, in das sie eine SMS tippte.
    «Bist du schon lange da? Zu spät bin ich ja nicht.»
    «In der Tat, das bist du nie», dachte Tanja, während sie ihre Handtasche vom Stuhl neben sich räumte, um Wolf gang Platz zu schaffen. Ihr Freund war immer beängstigend pünktlich, es war, als ob er über eine eingebaute Atomuhr verfügte. Wolfgang Jacobi blickte sich kurz im Raum um. Das war wie ein Reflex, noch aus Zeiten, in denen es lebensnotwendig für ihn gewesen war, sich die Umgebung exakt einzuprägen und jede Veränderung sofort wahrzunehmen. Wolfgang Jacobi war ein scharfer Beobachter. Jetzt schaute er seine Freundin forschend an.
    «Was ist los? Dich beschäftigt doch was?»
    Tanja hatte es nach einem Jahr aufgegeben, nach Ausflüchten zu suchen. Wolfgang hätte es sofort gemerkt. «Ich frage mich, ob ich deine Perfektion lieben oder hassen soll», antwortete sie.
    Jacobi schaute sie ruhig an uns zog dann eine Augenbraue leicht nach oben. «Und, zu welchem Schluss ist Frau Kommissarin gekommen?»
    Tanja gab ihm einen Kuss auf den Mund. «Ich verweigere die Aussage», meinte sie.
    «Dann muss ich wohl zu härteren Mitteln greifen und in Zukunft immer eine Stunde zu spät kommen, damit du herausfinden kannst, was du bevorzugst.» Er lächelte.
    «Bloß nicht», Tanja schüttelte sich. «Bleib, wie du bist. Meine Mutter hat mir auch beigebracht, dass man einen Mann ab dreißig nicht mehr verändern kann.»
    Jacobi zog wieder eine Augenbraue hoch. «Und wie ist es mit Frauen knapp über dreißig? Habe ich noch eine Chance?»
    Tanja zeigte ihm die Zähne. «Versuch dein Glück, Liebling.»
    Die Bedienung kam und Wolfgang Jacobi bestellte sich einen trockenen Riesling.
    «Was planst du für heute? Kannst du überhaupt etwas mit mir unternehmen oder hast du Dienst?»
    Tanja rührte in ihrem Milchkaffee. «Arne ist mit Susanne in der Oper, für heute haben wir beide unser Soll erfüllt. Morgen früh geht es weiter. Ich kann auch gut eine Ablenkung gebrauchen, der Fall wird immer verworrener.»
    «Fällt dir ein Bild dazu ein?», fragte Jacobi.
    «Warum fragst du das?», erkundigte sich Tanja.
    «Weil ein Bild, das dir spontan einfällt, dir manchmal zeigen kann, was deine Seele schon längst erkannt, dein Geist

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