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Trauerspiel

Trauerspiel

Titel: Trauerspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vera Bleibtreu
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doch jedes Kind!»
    «Na gut, dann erklär mir großem Kind mal, worum es beim Otello geht.»
    «Ganz einfach. Otello ist der Feldherr der Venezianischen Flotte in Venedig, außerdem ist er schwarz, ein Mohr, wie man früher gesagt hätte. Mit dieser Hautfarbe hat er so seine Probleme. Er wird zwar nicht verprügelt, logisch, er ist ja Feldherr, aber er hat Minderwertigkeitskomplexe, fatalerweise vor allem gegenüber seiner wunderschönen Frau Desdemona. Deshalb fällt er auf eine Intrige seines Offiziers Jago herein, der ihm vorgaukelt, Desdemona wäre untreu. Ende vom Lied: Otello erwürgt Desdemona und ersticht sich, als er merkt, dass er in eine Wahnvorstellung verstrickt war.»
    «Na toll», meinte Tanja. «da empfiehlt sich doch der Hinweis: erst fragen, dann stechen. Scheint ein ziemlicher Depp gewesen zu sein, dieser Otello. Ganz im Gegensatz zu seinem Offizier. Wie hieß der noch mal?»
    «Jago», antwortete Arne geduldig.
    «Die ganze Sache klingt mir nicht nach einer Komödie», meinte Tanja.
    «Na, das sind doch Ansätze von Bildung», lobte Arrne und wich knapp einem von Tanjas Boxhieben auf seinen Oberarm aus. Das gelang ihm inzwischen mit einer gewissen Eleganz, Folge regelmäßiger Übung. «In der Tat, es ist keine Komödie, sondern eine Tragödie. Tragödie von latei nisch tragicus, zu deutsch: tragisch oder Trauerspiel. Bei einem Trauerspiel respektive einer Tragödie ist am Ende mindestens eine Leiche zu beklagen, bei Shakespeare sind es erfahrungsgemäß gleich mehrere, da macht der Otello keine Ausnahme – dem intriganten Jago sei Dank.»
    Tanja war ein Gedanke wie ein kleiner Blitz durchs Hirn geschossen. Sie versuchte, den Einfall festzuhalten. «Ich muss den Faden finden», dachte sie. Faden – Spinnenfaden – das war es!
    «Wie eine Spinne im Netz, dieser Jago», sagte sie.
    «Ein gutes Bild! Wie kommst du denn darauf?», fragte Arne neugierig.
    «Weil ich mit offenen Augen geträumt habe», antwortete Tanja.
    «Das muss ich nicht verstehen, oder?», meinte Arne.
    «Nein, musst du nicht», antwortete Tanja.
    Arne war etwas irritiert. «Jedenfalls, Susanne und ich waren gestern im Otello, da spielen sie doch über der Bühne immer die Übersetzung des Operntextes ein, und das war im 2. Akt ganz genau der Satz, den Julia in ihr Tagebuch geschrieben hatte.»
    «Sie hatte die Spinne entdeckt», meinte Tanja.
    «Muss ich das wirklich verstehen?», fragte Arne.
    «Nein, musst du wirklich nicht», antwortete Tanja. «Es langt, wenn du Jago kennst.»
    * * *
    «Also, fassen wir einmal zusammen, was wir jetzt haben», sagte Arne. «Die Schülerin Julia wird ermordet, als sie Susanne Hertz, ihrer Pfarrerin, dringend etwas erzählen will. Julia hat die letzten 20 Seiten ihres Tage buchs herausgerissen, zuletzt stand dort ein Zitat aus dem Otello, einer Oper, in der sie mitgewirkt hat. Julia war in der letzten Zeit ihres Lebens in etwas verwickelt, das sie bedrückte, eventuell eine illegale Angelegenheit. Sie hatte einen Lehrer des sexuellen Missbrauchs bezichtigt, dieser Lehrer hat sich dann umgebracht. Es ist nicht klar, ob Julia selbst von diesem Lehrer bedrängt wurde oder lediglich die Berichte anderer Mädchen an die Schulleitung weitergab. Ihr Exfreund Maximilian hat sie ständig beobachtet, ihm hat sie etwas anvertraut, das er uns nicht sagen will. Ihre Freundin Katharina verdächtigt Maximilian.
    Julia wird von ihrer Familie und den Menschen, die sie kennen, als zuverlässig und ehrlich beschrieben. Aber es ist unklar, ob Julia in den letzten Monaten ihres Lebens tatsächlich immer ganz aufrichtig war.
    Offen ist nach wie vor, was Julia mit ProBio zu tun hatte, das müssen wir unbedingt noch klären, wir wissen auch nicht, ob Julia tatsächlich etwas mit dem Regisseur des Otello hatte und wir haben uns noch nicht mit der Witwe des Lehrers unterhalten. Puh!» Arne ließ den Stift sinken. «Habe ich etwas vergessen?»
    Tanja schüttelte den Kopf. «Nein, aber mir kommt es so vor, als ob wir immer mehr verwirrende Details erfahren, die uns vom eigentlichen Täter entfernen. Obwohl …», sie grübelte, «vielleicht ist es gar nicht anders möglich, wenn man eine Spinne fangen will. Man muss durch das Netz.»
    Arne sah Tanja etwas entnervt an. «O.k., du Spinnenfängerin, kannst du mal deinem beschränkten Kollegen erklären, was du damit meinst?»
    «Ich meine, dass uns gar nichts anderes übrig bleibt, als jedem Faden zu folgen. Was gehen wir als erstes an?»
    Arne blickte auf seine Liste.

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