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Trauerspiel

Trauerspiel

Titel: Trauerspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vera Bleibtreu
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«Gnädige Frau, Sie waren hervorragend. Bei Ihrem ‹Lied von der Weide› sind mir tatsächlich die Tränen in die Augen gestiegen. Einfach großartig! Wunderbar, dass ich Sie kennenlernen darf!» Er war aufgesprungen und hatte Frau Sommer, ehe die sich versah, einen Handkuss gegeben.
    Ulrike Sommer lächelte geschmeichelt. Tanja verstand die Welt nicht mehr. Diese Schepperstimme brachte ihren Kollegen in Verzückung? Arne war offensichtlich vollkommen durchgeknallt. Es kam jetzt alles darauf an, dass sie die Situation im Griff behielt, wenn auf Arne kein Verlass mehr war.
    «Frau Sommer, Sie sind der Ansicht, dass Ihr Mann Julia durchaus gekannt hat?»
    Ulrike Sommer lächelte Arne an, es war, als ob sie Tanjas Frage überhaupt nicht gehört hätte. Arne strahlte zurück. Beide schienen die Welt um sich herum vergessen zu haben.
    «Ja, diese Arie liegt mir besonders am Herzen. Ich wusste gar nicht, dass es bei der Polizei so kunstverständige Mitarbeiter gibt», schepperte die Sängerin.
    Tanja wiederholte ihre Frage.
    Unmutig nahm Ulrike Sommer Tanja ins Visier. «In der Tat, er kannte Julia. So wie er im Theater jedes halbwegs attraktive Mädchen kennt, erst recht bei den Chorsängerinnen. Sie werden in unserem Haus lange suchen müssen, bevor sie eine finden, die er noch nicht in sein Bett bekommen wollte. Die dummen Häschen machen auch noch mit, weil sie hoffen, dafür bei der nächsten Inszenierung vorne stehen und ein paar Takte solo trällern zu dürfen. Bei meinem lieben Gatten kann man mit Recht von der berühmten Besetzungscouch reden.» Sie lächelte ihren Mann giftig an. «Nicht wahr, mein Liebling, du schätzt einfach das weibliche Geschlecht.»
    Ihr Ehemann schaute mürrisch. «Musst du das hier so offen sagen!»
    Sie lächelte weiter. «Aber gewiss, das sind doch Polizisten, Darling, da muss man die Wahrheit sagen.» Sie fixierte Tanja, die spontan den Eindruck hatte, in die Augen einer Pythonschlange zu blicken. «Er ist eben so, mein Thorstenbär, wir gehen da ganz offen miteinander um.»
    Thorsten Braun hatte seine sowieso schon unordentlichen Haare nun vollkommen zerwühlt. «Ulrike, bitte! Ich hatte nichts mit Julia», klagte er. «Gut, ich gebe zu, ich fand sie attraktiv, und ich habe ihr das auch gesagt. Aber gelaufen ist nichts mit ihr, das habe ich dir doch schon hundertmal gesagt.»
    Tanja notierte sich in Gedanken, dass der Herr Regisseur in der Tat sehr freizügig mit der Wahrheit umging. Hatte er nicht zu Beginn des Gesprächs behauptet, er kenne keine Julia Moll?
    «Herr Braun, wo waren Sie am Abend vor dem Fronleichnamstag, also am letzten Mittwoch?»
    Braun sank in seinem weißen Sofa zurück. «Ich weiß es nicht, woher soll ich das denn so spontan wissen?», jammerte er.
    Seine Frau schüttelte den Kopf. «Liebling, hier ist nicht deine Spontaneität gefragt, sondern Tatsachen. Tatsache ist: wir waren beim Empfang des Intendanten. Gemeinsam mit etwa 200 Honoratioren, den Mitgliedern des Theatervereins und natürlich dem gesamten Ensemble. Wenn Sie nach Zeugen fragen: wir haben Hunderte.» Ende des Scheppervortrags.
    Tanja überlegte, dass die Diva damit sich und ihrem geliebt-gehassten Gatten ein hundertfaches Alibi besorgt hatte. Wenn auch kein ganz wasserdichtes. Denn wer wollte schon bei Hunderten von Menschen bestätigen, dass sich weder Thorsten Braun noch Ulrike Sommer für einen Moment aus der Tür des Staatstheaters geschlichen hatten, um bei der nur 50 Meter entfernten St. Johanniskirche eine Schülerin zu erstechen? Eine kurze Abwesenheit konnte gar nicht aufgefallen sein.
    «Damit wäre das ja wohl geklärt!», stellte Frau Sommer kategorisch fest. «Ich bringe Sie dann mal zur Tür.» Sie blickte Tanja kühl an und ging den beiden voran bis zur Tür. Dort nickte sie Tanja kurz zu, um anschließend Arne die Hand zum Kuss zu reichen. «Es war mir eine Freude, Sie kennen zu lernen. Wahre Freunde der Kunst sind so selten und so wertvolle Menschen.» Sie blickte huldvoll.
    «Nur eine Frage, Frau Sommer», meinte Arne, während er noch ihre Hand hielt.
    «Aber gerne», lächelte die Sängerin.
    «Woher wussten Sie denn, dass Ihr Mann ein Verhältnis mit Julia Moll hatte? Oder war es lediglich eine Vermutung?»
    Frau Sommers Lächeln erstarb, sie entzog Arne die Hand. «Nein, im Fall dieser kleinen Choristin war ich ganz sicher. Schließlich hatte ich dieses Foto, ziemlich eindeutig, das Gesicht des Mädchens war das von Julia.»
    «Woher hatten Sie dieses Foto?»
    Ulrike

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