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Trauerspiel

Trauerspiel

Titel: Trauerspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vera Bleibtreu
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willst?»
    Susanne schüttelte den Kopf. «Ich weiß nur, dass ich über Julias Konfirmationsspruch predigen werde. Aber heute wird mir schon noch etwas einfallen. Hauptsache, ihr passt auf mich auf.» Sie schaute Arne liebevoll an. «Ich bin mir sicher, dass er überlegt, wie er mich doch noch zum Schweigen bringen könnte. Vielleicht denkt er darüber nach, die St. Johanniskirche in die Luft zu sprengen. Aber diesmal haben wir – glaube ich – weiter gedacht als er.»
    «Du hast weiter gedacht», berichtigte Arne sie liebevoll. «Du ganz allein. Ohne dich und deinen Mut wäre gar nichts geschehen. Und jetzt sorge ich dafür, dass dir nichts geschieht.» Er nahm Susanne fest in den Arm. «Wenn du magst, ruh dich noch ein bisschen aus. Aber dann muss ich dich schon an deinen Schreibtisch treiben. Tanja und ich wollen schließlich morgen eine anständige Predigt hören.»
    «Na und ob!», bekräftigte Tanja.
    «Ich setze mich gleich an meine Predigt», sagte Susanne und stellte entschlossen ihre Teetasse auf den Tisch. «Trotzdem muss ich noch einmal zu St. Johannis. Ich habe das Gefühl, ich brauche noch eine Stunde in der Stille der Kirche. Geht das?»
    Arne und Tanja schauten sich überlegend an.
    «Das müsste gehen», nickte Tanja. «Arne begleitet dich.»
    * * *
    Vor St. Johannis hatte sich eine größere Menschenmenge eingefunden und starrte nach oben. Auf dem Dachsims stand, mit weit ausgebreiteten Armen, ein Mensch.
    «Das ist Kunst», meinte ein Mann aus der Menge. «Das haben die doch auch vor Jahren auf dem Kirchentag gemacht, da war doch dieser aufgeblasene Plastik-Jesus, in Frankfurt, weiß ich noch. Hat mir auch in Frankfurt nicht gefallen.»
    Nach Kunst konnte es in der Tat aussehen. Die Person auf dem Dach war ganz in Schwarz gekleidet, scharf hob sich ihre Silhouette gegen den wolkenlos blauen Himmel ab.
    «Mama, fällt der gleich?», fragte ein Kind.
    Irgendjemand musste die Polizei gerufen haben, ein Martinshorn kam näher. Die Person rührte sich nicht.
    «Ist der echt?», zweifelte eine Frau.
    Der Lärm von außen war bis in die St. Johanniskirche gedrungen. Susanne war mit Arne ins Freie getreten, um die Ursache des Lärms zu erkunden. Als sie nach oben schaute, stockte ihr der Atem. Das war Michael Berger, der da, schwarzgekleidet, mit ausgebreiteten Armen wie ein schwarzer Engel auf dem Dachsims stand.
    «Treten Sie zurück!», herrschte sie ein Polizeibeamter an, der gerade mit einer Kollegin damit beschäftigt war, die neugierige Menge zurückzudrängen und seinen Kollegen in Zivil offensichtlich nicht erkannte.
    «Aber ich kenne den da oben», stotterte Susanne, «und ich bin doch Pfarrerin hier.»
    Der Polizist stutzte. «Dann bleiben Sie mal hier, vielleicht können Sie ihn ja bewegen, nicht zu springen. Ich besorge Ihnen ein Megaphon.»
    Susanne nahm nicht wahr, wie die Menge von inzwischen mehreren Polizeibeamten weit in den Leichhof verwiesen wurde. Sie sah auch nicht, wie Feuerwehrleute ein Sprungtuch ausbreiteten.
    «Spring nicht», flüsterte sie, «tu das nicht.» Unverwandt starrte sie auf die schwarze Gestalt vor dem blauen Himmel, so, als ob sie Michael Berger mit ihren Gedanken auf dem Dach festbannen könnte. Da drückte ihr ein Feuerwehrmann ein Megaphon in die Hand. Susanne merkte, dass sie einen ganz trockenen Hals hatte. Sie musste sich mehrmals räuspern, bevor sie sprechen konnte.
    «Herr Berger, ich bin es, Susanne Hertz», hörte sie ihre Stimme ganz fremd aus dem Megaphon nach oben schallen. «Bitte springen Sie nicht! Bleiben Sie ganz ruhig. Ich möchte gerne mit Ihnen reden.» Susanne schien es, als ob Michael Berger einen Augenblick in ihre Richtung blickte. Dann ging sein Blick wieder in die Ferne. Susanne sah, wie er kurz den Kopf schüttelte. Dann setzte er einen Fuß nach vorne und sprang, mit weit ausgebreiteten Armen. Er flog, so schien es Susanne, endlos, dabei waren es nur Sekunden, ein schwarzer, gefallener Engel, der auf dem Pflaster zerschlug. Susanne ließ das Megaphon fallen und schrie und merkte es selbst nicht.
    «Schau da nicht hin», sagte Arne und nahm sie in den Arm.
    «Ich hätte ihn retten müssen, ich hätte was anderes sagen müssen», flüsterte Susanne.
    «Du bist nicht Gott, Susanne», sagte Arne ruhig und strich ihr leicht über den Kopf. «Berger hat sich für Gott gehalten, und wer sich für Gott hält, fällt tief.»
    Susanne blickte Arne erstaunt an. Sie ertappte sich beschämt bei dem Gedanken, dass sie Arne eine so tiefschürfende

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