Trauma
überlegte meine Mutter, »hieß der Zwerg nicht Chris Kringel?«
»Nein, liebe Maddy«, stellte Oma richtig, »er hieß Chris Klingel, mit einem L .«
»Also, das ist mir weihnachtlich genug«, sagte Lorrie. »Da höre ich die Glöckchen läuten.«
»Das ist meschugge«, sagte Dad.
Mom klopfte ihm auf die Schulter. »Sei nicht so griesgrämig, Schatz.«
»Also«, fing Oma an, »da bezahlt Sparky Anderson achtzehn Dollar für eine Flasche Merlot, was damals viel mehr Geld war als heute.«
»Alles ist so teuer geworden«, sagte Mom.
»Besonders«, ergänzte Lorrie, »wenn man was mit einem abgetrennten Finger drin haben will.«
Bis zum nächsten der fünf schrecklichen Tage waren es nur zehn Monate, aber an diesem Abend mit glitzerndem Schmuck und duftendem Truthahn kam uns das wie eine Ewigkeit vor.
TEIL FÜNF
Wie Pontius Pilatus hast du die Hände in Unschuld gewaschen.
53
Neun Meilen von Denver entfernt steht das Rocky Mountain Federal Penitentiary, ein Hochsicherheitsgefängnis, auf einem gerodeten und zum Plateau abgeflachten Hügel. Die Hänge dahinter und darunter sind dicht bewaldet, doch das Gelände rund um das Gefängnis ist völlig kahl, sodass die Suchscheinwerfer ungehindert darüber streichen können. Nirgendwo findet ein Ausbrecher Deckung, wenn er von den Wachtürmen aus unter Beschuss genommen wird.
Noch nie ist ein Häftling aus dieser Anstalt entkommen. Es gibt nur zwei Wege, sie zu verlassen: Begnadigung oder Tod.
Die hoch aufragenden Steinmauern sind nur von vergitterten Fenstern durchbrochen, die zu klein sind, um sich hindurchzuzwängen. Das steile Schieferdach ragt über jeden Wall.
Über dem Haupttor zum von einer Mauer umgebenen Parkplatz stehen, in Stein gehauen, die Worte WAHRHEIT * GESETZ * GERECHTIGKEIT * BESTRAFUNG. In Anbetracht der herrschenden Atmosphäre und der Sorte abgebrühter Krimineller, die hier untergebracht sind, hat man den Ausdruck Rehabilitation wahrscheinlich nicht ganz unabsichtlich weggelassen.
An jenem Mittwoch, dem sechsundzwanzigsten November – dem vierten meiner fünf schicksalhaften Tage – sah der wolkenverhangene Himmel, der auf das Gefängnis herabsank, ebenso trostlos aus wie die Zukunft der Insassen. Der eisige Wind schlich sich bis in die Knochen.
Bevor man uns durchs Tor auf den Parkplatz fahren ließ, mussten wir drei aussteigen, damit zwei tüchtige Wärter den
Innenraum und die Unterseite des Wagens nach größeren unerwünschten Objekten wie Kofferbomben und Raketenabschussvorrichtungen untersuchen konnten.
»Ich habe Angst«, gestand Lorrie.
»Du musst nicht mitkommen«, sagte ich.
»Doch, ich muss. Von dieser Sache hängt einfach zu viel ab. Ich muss dabei sein.«
Nachdem man uns die Zufahrt genehmigt hatte, parkten wir so nah am Eingangstor wie möglich. Der bitterkalte Wind ließ selbst den kürzesten Fußmarsch zur Tortur werden.
Das Personal genoss das Privileg einer beheizten Tiefgarage; hier an der Oberfläche parkten nur Besucher.
Am Tag vor Thanksgiving hätte man eigentlich einen Strom von Angehörigen erwartet, stattdessen kamen neun leere Stellplätze auf jedes parkende Fahrzeug.
Da man hier Häftlinge aus allen Staaten des Westens zusammengezogen hatte, war die Entfernung für viele der Verwandten vielleicht zu groß, um regelmäßig zu Besuch zu kommen. Vielleicht waren die Typen ihrer Familie aber auch scheißegal.
Außerdem hatten manche von ihnen ihre Familie umgebracht und konnten daher verständlicherweise keinen netten Besuch erwarten.
Selbst vor einem so sentimentalen Feiertag gelang es mir nicht, irgendein Mitgefühl für die einsamen Männer in den düsteren Zellenblocks zu empfinden. Mir kam nur in den Sinn, wie sie mit schwerem Herzen sehnsüchtig den Vögeln nachschauten, die sich durch den fahlen Himmel jenseits der vergitterten Fenster schwangen. Wieso Hollywood ein derartiges Faible dafür hatte, einsitzende Verbrecher und das Gefängnisleben zu romantisieren, war mir nie so recht klar geworden. Außerdem hatten die meisten dieser Typen einen Fernseher, ein Abonnement des Hustler und Zugang zu allen Drogen, die sie brauchten.
Hinter dem Haupteingang kam ein kurzer Flur, in dem drei Wärter postiert waren. Sie waren bewaffnet, einer sogar mit einem Gewehr. Hier wiesen wir uns aus und schrieben unsere Namen auf eine Liste. Wir gingen durch einen Metalldetektor und wurden mit Röntgenstrahlen durchleuchtet. An die Decke montierte Kameras beobachteten uns.
Ein stattlicher Deutscher Schäferhund,
Weitere Kostenlose Bücher