Traumfrau (German Edition)
bremsen. Dann spielt das Geld plötzlich keine Rolle mehr. In letzter Zeit hat Lothar Sommer auch immer noch Bestechungsgelder für die Behörden in Bangkok verlangt. Das hast du auch gemacht, hm?”
„Ja. “
„Wie viel hast du kassiert? Fünfzig Prozent?”
„Zwanzig”, gab Martin Schöller kleinlaut zu. Und schon hatte Udo Tiedemann Anlass zu neuem Spott, denn so billig verkauft sich nur ein Anfänger.
Er hatte Martin genug schockiert. Martin musste seine Führungsrolle anerkennen. Mit väterlicher Geste nahm er ihn jetzt in den Arm und sagte: „Du hast da ein ganz schönes Problem am Hals. Solche Geschäfte macht man besser nicht da, wo man wohnt. Wie stehst du da, wenn deine Eltern es erfahren? Ich mach dir einen Vorschlag. Ich lass einen Kumpel nicht im Stich, das weißt du. Ich nehm sie dir ab. Bis jetzt war alles, was ihr gemacht habt, legal und in Ordnung. Erst wenn die Passbehörden sich melden, gibt’s wirklich Ärger. Das ist bald so weit, stimmt’s?”
„Hm.”
„Du brauchst mir nichts dafür geben, für dich mach ich’s umsonst. Du kannst sie mir heute Abend bringen. Zur Disko oder ... ich kann sie mir auch abholen, wenn’s dir lieber ist.”
Wütend stieß Martin Udo von sich. „Du hilfst gern anderen Leuten aus Schwierigkeiten, hä? Das hast du schon einmal getan!”
„Ja, ich weiß. Und deswegen solltest du mir auch dankbar sein.”
„Bin ich aber nicht! Du denkst nur an deinen eigenen Vorteil. Ich habe Rolands Auge auf dem Gewissen, nicht du!”
„Stimmt genau. Ich hab dir nur den Ärger abgenommen.”
„Den Ruhm hast du kassiert und Helga obendrein. Du warst wer, und ich?”
„Ja”, lachte Udo Tiedemann, „du bist immer noch die Null
von damals. Daran ändern deine Muskeln nichts. Willst du mal meine fühlen?”
64
Es dauerte endlos lange, bis die Tür geöffnet wurde. Mary drückte schon zum zweiten Mal auf den Klingelknopf, als die schlurfenden Schritte von Günther Ichtenhagen erklangen. Sie zuckte zurück. So vornüber gebeugt und mit dem verbundenen Gesicht sah er aus wie eine der Grabstätte entsprungene Mumie. Mehr Gruselfigur als Mensch.
Der dicke, von Doktor Jostich fachmännisch angebrachte Verband, ließ nur Augen und Mund frei. Am Kinn sickerte Blut durch. Langsam, wie von einem unsichtbaren Flaschenzug bewegt, hob er seine Arme und breitete sie aus, um Mary zu begrüßen. Aus seinem zahnlosen Mund kam ihr Name wie ein Klageton. Sie lief nicht in seine geöffneten Arme, wie er gehofft hatte, sondern betrat nur stumm nickend an ihm vorbei die Wohnung.
Eine Mischung aus Freude und Schmerz trieb Tränen in Günther Ichtenhagens Augen. Sie war zu ihm zurückgekommen. Konnte er mehr erwarten?
Jetzt, da er so viele Fragen an sie hatte und sie endlich Antwort geben konnte, schmerzte sein Kiefer bei jeder Silbe. Die Schwellungen im Mund und Rachenraum machten sogar das Schlucken zur Qual. Die Selbstverständlichkeit, mit der sie sich in seinem Haus bewegte, gefiel ihm. Vielleicht, dachte er, fühlt sie sich hier schon zu Hause. Sie brühte sich einen Tee auf und räumte wortlos den Frühstückstisch ab, an dem noch niemand gegessen hatte.
Günther Ichtenhagen holte bunte Kreide und schrieb mit roten Buchstaben auf Katis Tafel: Sprichst du Deutsch?
Er reichte ihr die Kreide, damit sie die Antwort aufschreiben konnte. Aber sie nahm das Stück nicht, sondern nickte nur.
Mein Gott, dachte Günther, dann hat sie die ganze Zeit verstanden, was die Männer in ihrer Gegenwart geredet haben.
Die Kreide fiel ihm aus der schlaffen Hand. Er bückte sich nicht danach, sondern redete gegen den Schmerz an: „Warum ... warum hast du dich stumm gestellt?”
Sie zog den Teebeutel aus der Kanne, schluckte, sah Günther Ichtenhagen offen in die Augen und antwortete: „Du wolltest mich so. Herr Sommer hat gesagt, eine gute Frau erfüllt die Wünsche ihres Mannes.”
Günther Ichtenhagen ertrug ihren Blick nicht länger. Er setzte sich an den Tisch, vergrub seinen verletzten Kopf in den Armbeugen und weinte wie nie in seinem Leben. Er spürte den Schmerz im Kiefer und in der Mundhöhle nicht mehr. Er wollte sprechen, aber er brachte kein Wort heraus. Nur sein Speichel zog ein Netz von Fäden. Er schluchzte. Als er aufsah, verschleierten Tränen seinen Blick.
Mary stand jetzt ganz nah bei ihm. Sie goss ihm ungefragt eine Tasse Tee ein und legte eine Hand auf seine Schultern.
Als Günther Ichtenhagen endlich wieder sprechen konnte, erkannte er seine eigene Stimme nicht
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