Traumfrau (German Edition)
wieder. „Aber du bist doch auch ein Mensch! Du darfst dich nicht so erniedrigen ... Sei einfach wie du bist ...”
Sie schwieg lange und sah ihn nur an. Sie formulierte ihre Sätze erst ruhig in Gedanken vor, bevor sie mit heller, klarer Stimme sprach: „Dann hättest du mich nicht genommen.”
Die Wahrheit traf ihn hart wie Martin Schöllers Fuß. Er versuchte mit einer Lüge zu parieren, wollte besser dastehen, als er war, und wurde sich dadurch der Jämmerlichkeit seiner Person erst recht bewusst.
Noch bevor es klingelte, hörten sie die Männer vor der Tür. Planlos hasteten die beiden durch die Wohnung. Unfähig, miteinander zu reden. Unfähig zu handeln. Panisch vor Angst.
Von draußen hörten sie Martin Schöllers Stimme: „Nimm du die Außentreppe, damit sie uns nicht abhaut.”
Günther Ichtenhagen griff sich ans Herz. Bitte jetzt nicht! Lass mich jetzt nicht im Stich! Hilf mir nur noch, das hier zu überstehen, dann bin ich bereit, mich hinzulegen und zu sterben, dachte er.
Mary floh in ihr Zimmer, aber Günther hielt sie auf. Sie hatten nur noch wenige Sekunden.
Der Keller!
Eine andere Möglichkeit gab es nicht. Gemeinsam fielen sie die Kellertreppe fast hinunter. Die Stahltür vom Heizungskeller bot einigen Schutz. Günther Ichtenhagen schloss sie auf. Mary flüchtete hinein und kauerte sich zwischen den großen Tanks an die kalte Rauhputzwand. Günther schloss von außen ab und dachte: Gib mir Kraft, o Herr, gib mir Kraft, dass ich den Schlüssel nicht rausrücke. Egal, was sie mit mir machen.
Zunächst steckte er den Schlüssel in seine Unterhose, dann fürchtete er, dass er schon bei ein paar Schritten durchs Hosenbein herausfallen könnte. Er wühlte mit beiden Händen in seiner Unterhose herum, um den Schlüssel wieder nach oben zu befördern. Runterschlucken konnte er ihn nicht. Er versuchte, ihn zwischen seine Kopfhaut und den Verband zu schieben, aber das schmerzte zu sehr. Schon flog die Tür von Katis Zimmer auf. Schritte stampften die Treppe herunter.
Günther kam gerade noch bis zum Kühlschrank. Er warf den Schlüssel ins Eisfach.
Bruchteile von Sekunden später stand Hans Wirbitzki hinter ihm. Plötzlich kam es Günther Ichtenhagen verdächtig vor, dass er vor seinem eigenen Kühlschrank kniete. Er brauchte eine Erklärung dafür, musste von dem Schlüssel ablenken. Er nahm die Aquavit Flasche als Rettungsanker, stemmte sich schwer am Kühlschrank hoch, schloss die Tür mit dem Knie und sah Hans Wirbitzki einladend an, ganz so als sei es normal, dass Gäste ohne Ankündigung eindringen.
„Gieß gleich vier ein. Ich lass die anderen rein!”, grinste Hans Wirbitzki. Sein verächtlicher Blick stach durch Günther Ichtenhagens Verband. Hans Wirbitzki ging zur Tür und öffnete Martin Schöller und Wolfhardt Paul.
„Wir sind gekommen, um sie abzuholen”, sagte Martin Schöller trocken und machte damit gleichzeitig klar, dass er sich durch nichts aufhalten lassen wollte. Er hatte keine Zeit zu verlieren. Martin Schöller und Hans Wirbitzki wirkten quirlig, angriffslustig, gemein. Wolfhardt stand ein bisschen eingeschüchtert hinter Martin Schöller. Er schämte sich.
Du auch, Wolfhardt?, wollte Günther Ichtenhagen fragen. Aber es war ihm den Schmerz nicht wert. Zu Martin Schöller gewandt, erklärte Hans Wirbitzki: „Oben ist sie nicht.”
„Also los Günther, wo hast du sie versteckt?”, fragte Martin Schöller.
Günther Ichtenhagen antwortete nicht. Er goss vier Gläser ein und brauchte alle Kraft dafür, nichts zu verschütten. Er reichte Hans Wirbitzki das erste Glas, das zweite an Martin Schöller. Martin nahm es ihm nicht ab. Wolfhardt hielt es für ihn wie sein Assistent und nahm selbst das letzte.
Was für die anderen aussah wie eine Geste der Unterwerfung, ein Willkommenstrunk des Bürgermeisters für die fremden Besatzungstruppen, um sich von ihnen Mildtätigkeit zu erkaufen, war in Wirklichkeit ein taktisches Manöver. Günther wollte in die Nähe des Telefons kommen. Sein Gehirn arbeitete plötzlich mit der Präzision eines Industriecomputers. Ein Überlebensprogramm lief ab, das emotionslos die Chancen für jede einzelne Möglichkeit durchspielte.
Wenn du es schaffst, das Telefon an dich zu reißen, kannst du den Anschlussstecker mit einem Ruck herausreißen und mit zwei Schritten in dein altes Arbeitszimmer springen. Du kannst die Tür hinter dir zuknallen. Es ist eine schwere Eichentür. Sie wird ein paar Tritten standhalten. Die Telefondose im
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