Traumfrau (German Edition)
Reste für sie auf ein Tablett zusammen, stellte das Röschen dazu und trug es zu ihr hinauf.
„Ich hab dir dein Frühstück hochgebracht. Ich stell’s dir vor die Tür. Wenn du Hunger hast, kannst du es dir holen.”
Auf halbem Wege blieb er noch einmal stehen, drehte sich um und sagte: „Du brauchst keine Angst vor mir zu haben. Ich bin ein Lehrer. Ein alter Lehrer.”
Er starrte noch eine Weile die geschlossene Tür an und ging dann hinaus in den Garten.
Wenn ich über die Außentreppe ginge, vielleicht würde sie mir dann öffnen. Ihr Zimmer hat zwei Eingänge. Er hatte für jede Tür einen Schlüssel, aber die Niederlage, einen davon gegen Marys Willen benutzen zu müssen, empfand er als unerträglich. Er warf Futterflocken für die Fische in den Gartenteich, was ihm wie eine Ersatzhandlung vorkam.
Drei Mäuler pflückten die Brocken gierig von der Wasseroberfläche. Wo waren die anderen Fische? Verweigerten auch sie die Essensaufnahme? War es nicht mal seinen Fischen gut genug, sich von ihm füttern zu lassen? Da sah er zwei tote Goldfische bauchoben zwischen den Schilfstauden.
Er musste sie herausholen. So ein kleiner Tümpel vergiftete sehr schnell. Er ging ins Haus, um Eimer und Kescher zu holen.
Oben auf der Treppe huschte ein Schatten vorbei. Mit sanftem Plopp schloss sich die Tür. Das Tablett stand nicht mehr an seinem Platz. Sie hatte etwas zu essen von ihm genommen. Er konnte die Freude kaum fassen. Es war eine stumme, hilflose Geste, aber doch eine Anerkennung ihrerseits, dass er es gut mit ihr meinte. Er wollte sie jetzt mit dem Frühstück und dem Haus alleine lassen. Sollte sie nach und nach, langsam Besitz vom ganzen Haus ergreifen.
„Ich gehe jetzt. Ich mache einen Spaziergang. Du brauchst keine Angst zu haben. Ich komm wieder. Fühl dich ganz wie zu Hause. Schau dir alles in Ruhe an. Du kannst alles benutzen. Tschüß, bis heute Mittag.”
Der Spaziergang an der Ichte war erlösend. Die Stimmung mit Mary im Haus hatte etwas Erdrückendes an sich. Er musste schnell ein Vertrauensverhältnis zu ihr aufbauen. So hielt er es nicht lange aus.
32
Seit seine Frau mit dem Bus in die Kreisstadt gefahren war, hatte Hans Wirbitzki Günther Ichtenhagens Haus beobachtet.
Ganz gegen Günther Ichtenhagens sonstige Sitten musste er bis kurz vor zehn geschlafen haben. Die Rollladen nach vorn blieben unten. Dann ging er zu Seglers und kaufte ein. Schon allein dafür hätte Hans Wirbitzki ihn ohrfeigen können. Mit seiner Riesentüte musste er auffallen! Frau Segler war nicht blöd. Sie wusste, dass er so viel nicht allein frühstücken konnte. Außerdem kaufte er sonst nie etwas zum Frühstück ein, jetzt weiß sie schon mal, dass du über Nacht Besuch gehabt hast, dachte Hans Wirbitzki. Wenn du so weitermachst, kannst du gleich mit Mary Arm in Arm im Dorf spazieren gehen.
Um viertel nach elf war Günther Ichtenhagen in den Garten gegangen, um seine Fische zu füttern. Wenige Minuten später lief er ins Haus zurück, und jetzt schlug er den Weg zur Ichte ein. Der kleine Rundgang würde gut anderthalb Stunden dauern. Der große zwei. Darauf hatte Hans Wirbitzki gewartet.
Er nahm seinen Schlüssel und schlenderte, als sei er zu einem kleinen Spaziergang aufgelegt, an Günther Ichtenhagens Haus vorbei. Dort, wo die Sträucher fast mannshoch standen, kletterte er über den Zaun und war mit fünf Schritten am Hintereingang. Falls er beobachtet worden war, würde niemand Verdacht schöpfen. Er war plötzlich zwischen den Sträuchern verschwunden. Er konnte genauso gut ins Wäldchen abgebogen sein.
Sie wusste sofort, was er von ihr wollte. Ihre erschrockenen Augen und ihr starrer Körper stachelten ihn an. Sie wehrte sich nicht. Sie ließ alles geschehen. Ihr Widerstand war passiv. Sie half nicht mit. Sah nicht hin. Schloss die Augen. So sehr er sich auch abmühte, er entlockte ihr keinen Laut. Keinen der Lust und keinen der Klage.
Dass sie so unbeteiligt war, machte es schön für ihn. Sie erinnerte ihn an die kleinen Mädchen, die nicht auf die Idee kamen zu sagen: „Nimm die Finger weg, lass das sein!” Die nicht wussten, was mit ihnen geschah, und in ihrem Schock taten, als seien sie völlig abwesend. Als würde nichts geschehen.
Er hatte nicht mal seine Hose ausgezogen. Mary hingegen war völlig nackt. Plötzlich hatte er es sehr eilig zu gehen.
Er brachte sein Zeug in Ordnung und erst jetzt fiel ihm auf, dass er nicht ein einziges Wort zu ihr gesprochen hatte.
Okay, sie war stumm. Aber er
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