Traumfrau (German Edition)
dabei. Sie hat mich dazu gebracht zu saufen. Was war ich früher für ein Kerl! Jetzt schaffe ich nicht mal die paar Meter vom Teich bis zum Dorf. Mit dieser Weiberherrschaft ist es jetzt endlich vorbei. Ich werd ihr zeigen, wo’s langgeht!
Er wusste, dass ein einziger Blick von ihr seinen aufkeimenden Mut zusammenfallen lassen konnte wie kalte Asche. Er biss sich auf die Unterlippe wie er es als Kind getan hatte, wenn er feststellen musste, dass seine Mutter eben doch den Vater mehr liebte als ihn, obwohl er sich ohne Unterlass um sie bemüht hatte. Den ganzen Tag über war er ihr Männlein, versuchte, so zu sein, wie sie sich ihn wünschte, ging bereitwillig mit ihr in die Kirche, glaubte alles, was sie sagte, tat, was er tat, um ihr zu gefallen und musste doch erleben, dass sie am Ende eines Tages wieder mit dem Vater ins Bett stieg. Und sie ließ all die Dinge mit sich tun, von deren Existenz er nur ahnte, von denen er aber wusste, dass sie Sünde waren. Sie hatte eine dunkle Seite. Es war die von ihm abgewandte Seite. In diese sündige, schlüpfrig dunkle Welt konnte er nicht eintreten. Er fürchtete sich davor und er sehnte sich gleichzeitig danach.
Er pellte sich das durchgeschwitzte Hemd vom Oberkörper, benutzte es als Handtuch, um sich den Rücken trockenzureiben, und merkte dabei, dass er längst nicht mehr gelenkig genug war, um alle Hautflächen zu erreichen.
Diese Erkenntnis heizte die sinnlose Wut in ihm an. Er bemühte sich, fester aufzutreten, um sich selbst Mut zu machen, stapfte vorwärts, ignorierte tapfer die Stechmücken und schwor sich, diesmal keine Nebenrolle anzunehmen. Einmal im Leben wollte er die Hauptrolle für einen anderen Menschen spielen, einmal sich nicht verdrängen lassen, nicht vom Vater und nicht von einem Lebensmittelladen. Für Mary wollte er zum Mittelpunkt des Lebens werden. Gleichzeitig wusste er, dass es nicht funktionieren würde. Zu sehr hielten Günther Ichtenhagen und Martin Schöller die Fäden in der Hand. Noch bevor die Geschichte richtig begann, war er für Mary schon zur Nebensache geworden. Hatte sie ihn überhaupt wahrgenommen? Bei dem Gedanken, dass sie vielleicht nicht mal seinen Namen wusste, verspürte er solche Wut, dass er den helllila blühenden Fingerhut am Wegrand mit der Handkante absäbelte wie mit einem Fleischermesser. Er würde auch diesmal nicht der Erste sein und erst recht nicht der Wichtigste.
Erneut schlug er in die Sträucher. Die Dornen der Brombeerästchen rissen die Haut an seinem Unterarm auf. Seine Wut begann, sich gegen ihn selbst zu richten, und er genoss den Schmerz.
„Diesmal lasse ich nicht zu, dass man mich zur Seite schiebt!”, brüllte er und erschrak über den Hall seiner Worte.
Plötzlich fühlte er sich klein, schuldig, ertappt.
Was bin ich für ein Idiot, dachte er, ich schleich mich ins Dorf und dann schrei ich im Wald rum, wüte zwischen den Brombeersträuchern als wollte ich unbedingt Aufmerksamkeit auf mich ziehen.
Das zerknüllte, schweißnasse Hemd zog er wieder an. Er hatte die Hälfte des Weges hinter sich gebracht.
Dort oben, hinter den drei Eichen, lag Günther Ichtenhagens Haus. Er konnte es von hier aus noch nicht sehen, wusste aber seine Lage genau zu bestimmen. Dort oben in dem neu eingerichteten Zimmer, saß sie vor der pinkfarbenen Tapete und wartete auf ihn.
Sieh nur, schrie etwas in ihm, sieh nur, welche Mühe ich für dich auf mich nehme! Sieh meinen Schweiß! Musste sie nicht dankbar sein, wenn jemand so viel für sie erlitt?
Plötzlich trug er das nasse Hemd mit Stolz. Wenn er es ihr schon nicht sagen konnte, so sollte sie wenigstens sehen, was er für sie auf sich nahm.
Die Schnitte vom Brombeerstrauch am Unterarm begannen zu brennen. Er kratzte die Wunden noch weiter auf.
Und wenn sie es nicht zu schätzen wusste? Und wenn sie ihn genauso ignorierte wie seine Mutter und seine Ehefrau, wenn es auch für sie Wichtigeres gab als ihn? Was dann?
Er sah sich wieder im Schlafzimmer stehen und seiner Frau die Bettdecke herunterreißen. Zum Fragezeichen gekrümmt lag sie da und machte ihn mit einem Augenblinzeln mutlos.
Diesmal würde er nicht kneifen. Schweißperlen sammelten sich oberhalb seiner Nasenwurzel und kullerten dann zu einem dicken Tropfen vereint zur Nasenspitze und baumelten von dort als zäher, durchsichtiger Faden herunter. Mit dem Handrücken wischte er sich die Nase ab und schwor sich Mary jeden Schweißtropfen einzeln von seinem Körper ablecken zu lassen. So würde er sie
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