Traumfrau (German Edition)
einweisen zu lassen, doch sein Widerstand bröckelte, als er von der Bettkante nicht hochkam.
Zerknirscht ließ Günther Ichtenhagen sich von Dr. Jostich beim Ankleiden helfen.
Günther Ichtenhagen wusste, dass er die Treppe, hoch in Marys Zimmer, ohne Dr. Jostich nicht schaffen würde. Aber selbst wenn es ihm gelänge: Was wäre gewonnen? Wie sollte er sich Mary verständlich machen?
Wie sollte er ihr erklären, dass sie nun für ein paar Tage auf sich allein angewiesen war?
Er musste sie der Obhut der anderen überlassen. Die hilflose Wut darüber setzte so viel Magensäure frei, dass er Dr. Jostich um ein Magenmittel bat.
Nicht mal einen Zettel kann ich ihr hinterlassen. Wir sprechen keine gemeinsame Sprache.
Nie wurde ihm schreiender bewusst, wie ungeheuerlich es von ihm gewesen war, Mary hierher zu bringen.
Er fand es übertrieben, dass man ihn in einen Rollstuhl setzte, um ihn in den Krankenwagen zu fahren.
Warum ließ Mary sich nicht blicken? Hörte sie den Lärm nicht? Deutete sie ihn falsch? Oder saß sie oben hinterm Schlüsselloch und beobachtete die Situation? Draußen vor seinem Haus saß Günther Ichtenhagen noch wenige Minuten im Rollstuhl und hörte zu, wie Dr. Jostich den Krankenpflegern Anweisungen gab. Die Pfleger machten einen recht gelangweilten Eindruck. Für sie war das hier Alltag. Öde Routine. Zuerst empörten ihre teilnahmslosen Gesichter Günther Ichtenhagen, dann beruhigten sie ihn.
Natürlich sorgte der Krankenwagen im Dorf für Aufregung. Uschi Paul hockte nervös mit ihrem Fernglas hinterm Fenster, Hans Wirbitzki eilte herbei und Bürgermeister Sendlmayr höchstpersönlich. Besorgnis, Aufregung und Anteilnahme spiegelten sich in ihren Gesichtern.
Martin Schöller brauste wie ein Idiot mit seinem neuen Wagen herbei und fuhr fast in die Traube der Wartenden. Sofort schlugen ihm Wut und Empörung entgegen. Bürgermeister Sendlmayr wollte ihn mit scharfen Worten zurechtweisen, und der Krankenwagenfahrer hätte ihm am liebsten eine Ohrfeige gegeben, aber so aufgelöst, wie Martin Schöller jetzt aus dem Fahrzeug sprang, wussten alle sofort, dass er eine Entschuldigung hatte. Etwas Schreckliches war geschehen. Etwas, das schlimmer war als Günther Ichtenhagens Herzversagen. Martins Haare standen wie elektrisiert ab. Seine Hände zitterten. Sein Gesicht verzerrte sich.
„Hermann ... Hermann ... Hermann hat sich aufgehängt!”
Als müsse er seine Worte erst erläutern, machte er eine Geste, wie man sich eine Schlinge um den Hals legt.
Der Bürgermeister packte Martin und schüttelte ihn:
„Was erzählst du da? Was?”
„Ich habe ihn gerade gefunden. Am Anglerteich. Er hängt noch. Ich wollte ihn abschneiden, aber ich hab’s nicht geschafft.
Sendlmayr stieß Martin zur Seite, warf sich in Martins Auto und startete durch.
„Warte! Nimm mich mit!”, rief Dr. Jostich hinter Sendlmayr her, doch der hörte ihn schon nicht mehr.
Günther Ichtenhagen sah zu Marys Zimmer hoch. Am Fensterrand konnte er ihren Schatten erkennen. Günther Ichtenhagen schloss die Augen.
Mein Gott, was haben wir getan.
38
Nach der zweiten Infusion ging es ihm schon wesentlich besser. Er sah den kristallklaren Tropfen zu, wie sie aus der Plastikflasche über seinem Bett in gleichmäßigem Rhythmus mit dem Ticken der Uhr in den Schlauch fielen, der durch eine Kanüle mit seinem Körper verbunden war und ihn am Leben erhielt.
Man hatte etwas hineingemischt, das ihn beruhigen und gleichgültig machen sollte. Doch das funktionierte nicht. Er wurde nur müde davon.
Er fand eine Möglichkeit, gegen seine Schuldgefühle anzukämpfen. Er redete sich ein, sie sei schließlich aus freien Stücken gekommen und freiwillig in seinem Haus. Immerhin hatte er eine Rückflugticket für sie bezahlt. Wenn es ihr bei ihm nicht mehr gefiel, konnte sie jederzeit davon Gebrauch machen.
Mach dir keine Vorwürfe, sagte er sich. Du bist nicht für die anderen verantwortlich. Du hast dich ihr gegenüber korrekt verhalten. Sie hat sich entschieden, in die Bundesrepublik zu kommen, nun soll sie sehen, ob sie hier klarkommt oder nicht. Auf jeden Fall bleibt ihr die Rückflugticket.
39
„Und ich sage euch”, brüllte Hans Wirbitzki, „seine Frau hat etwas gemerkt!” Er pochte dabei mit der Spitze des Zeigefingers auf den Tisch, griff mit der anderen Hand in die Tasche, zog ein angeschmuddeltes Stofftaschentuch heraus und spuckte hinein. Er rauchte schon die dritte Zigarre, und diesmal war die Glut durch seine hektischen
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