Traumfrau (German Edition)
lehren, ihn ernst zu nehmen.
Unbeobachtet erreichte er Günther Ichtenhagens Garten. Schnaufend blickte er die Treppe hoch. Er griff in die Hosentasche und wog den Schlüssel schwer in der Hand. Schöner wäre es, wenn sie erwartungsvoll hinter der offenen Türe stünde, um ihn zu umarmen ...
Er merkte, dass etwas in ihm versöhnlich wurde. Er begann schon wieder, sich mit den Frauen und der Welt zu arrangieren. Am liebsten hätte er jetzt ein paar Blümchen im Garten gepflückt. Er unterdrückte diesen Wunsch. Er wollte nicht gleich wieder der Unterlegene, der Bittende sein. Diesmal nicht! Er stampfte die Treppen hoch.
35
Günther Ichtenhagen erwachte mit einem dumpfen Gefühl, so als laste ein großer Sack, voll mit nassen Steinen, auf seiner Brust. Das Gewicht drückte ihn tief in die Matratze, nahm ihm fast die Möglichkeit zu atmen.
Seine Hände krallten sich in den Sack. Bei dem Versuch, ihn vom Körper zu schieben, verkrampften sich Günther Ichtenhagens Armmuskeln. Er wollte schreien. Er brauchte Hilfe. Allein konnte er es unmöglich schaffen.
Todesangst schüttelte ihn.
Es lag nur eine lockere Daunendecke auf ihm, und seine Hände krampften sich nicht etwa in einen schweren Steinsack, sondern ruhten friedlich gefaltet auf seinem Bauch.
Trocken klebte seine Zunge am Gaumen. Seine Füße waren eiskalt, lagen in dem Bett, als würden sie nicht zu seinem Körper gehören. Sein Gehirn sendete Befehle, doch sie kamen nicht in den Gliedmaßen an. Er wollte nach dem Glas Wasser auf dem Nachttisch greifen, aber die Hände blieben stumm gefaltet auf dem Bauch liegen.
„Mary!”
Seine Lippen formten einen Schrei. Einen lauten Hilferuf. Doch aus seinem Mund drang ein kaum hörbares Krächzen. Er erschrak, weil ihm seine Stimme fremd vorkam. Die eines unheilbar Kranken in seinen letzten Stunden.
Der Versuch, sich zu bewegen, schlug fehl. Trotzdem raschelte das Kopfkissen ungewöhnlich laut an seinem Ohr.
Wenigstens funktioniert mein Gehör noch, beruhigte er sich. Er konnte den Kopf von links nach rechts rollen und wieder zurück. Mehr war im Moment nicht drin. Und selbst diese Bewegung erforderte eine große Kraftanstrengung. Er ließ es sein. Bewusst blieb er ganz ruhig liegen, um nicht noch mehr Kräfte zu vergeuden. Bestimmt würde Mary gleich nach ihm schauen. Er würde ihr dann mit Blicken zu verstehen geben, was er brauchte: zunächst Wasser. Dann eine Wärmflasche für die Füße, seine Tabletten und einen Arzt.
Ich darf jetzt nicht einschlafen, sagte er sich, nur nicht einschlafen und starrte gegen die Decke.
Sie war oben. Er hörte, wie ein Stuhl gerückt wurde, dann Schritte.
Aber das waren nicht Marys. Sie stampfte nicht so schwerfällig plump herum. Selbst ihr tonloses Schlurfen war ein leichtfüßiger Tanz gegen dieses Getrampel.
Unmöglich, dass sie so weit ausschritt. Unmöglich, dass sie so hart auftrat. Dort oben ging ein schwerfälliger Mann.
Reg dich nicht auf, dachte Günther Ichtenhagen, nur nicht aufregen. Es kann nur Hermann sein oder Wolfi. Martin hat einen sportlich federnden Gang. Und der asthmakranke Hans Wirbitzki schreitet nicht so weit aus, sondern zieht den rechten Fuß langsam zu sich heran, bevor er den linken wieder vorwärts hebt. Der Gang von Hans war schleppend. Krank. Außerdem konnte das Fliegengewicht Hans Wirbitzki nicht so fest aufstampfen.
Aber wo war Mary? Befand sie sich überhaupt oben im Raum? Wenn ja, dann bewegte sie sich nicht. Stand irgendwo regungslos. Stimmen waren nicht zu hören. Und jetzt auch keine Bewegung mehr.
Wer immer oben war, er befand sich jetzt in der Nähe des Bettes. Günther Ichtenhagen wartete darauf, dass er sich endlich setzte. Lag Mary auf dem Bett?
Günther Ichtenhagen tastete mit der trockenen Zunge über die Lippen. Versuchte sie zu befeuchten. Er wollte noch einmal nach Mary rufen. Er hatte Angst, gleich das Knarren der Bettfedern über sich zu hören.
Ich könnte das jetzt nicht ertragen, dachte er. Es würde mir den Todesstoß versetzen. Mein Herz zum letzten Mal zerreißen.
Das Ganze war eine Schnapsidee und musste so schnell wie möglich beendet werden. Sie war seine Frau! Nur seine. Er würde sie heiraten und mit ihr von hier weggehen. Unter diesen Umständen konnte er ohnehin nicht länger in Ichtenhagen bleiben. Er musste nur die nächsten Stunden überleben, dann würde alles gut werden. Er würde sich operieren lassen. Tausende hatten es vor ihm überstanden. In seiner Jugend war er eine Sportskanone gewesen. Er
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