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Traumfrau (German Edition)

Traumfrau (German Edition)

Titel: Traumfrau (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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herablassen. Er äußerte Verständnis für Dieters Erregung, war auch bereit, ihm alle bösen Worte zu verzeihen, in der eigentlichen Streitfrage aber blieb er unerbittlich.
    Es gab angeblich für solche Fälle einen kleinen Verein von „Freidenkern”, die Pastor Möller ein Häuflein antiklerikaler, zum Teil marxistischer Wirrköpfe nannte, und die für ein paar Mark bereit waren, am Grab eines jeden Toten eine unchristliche Rede zu halten, falls die Kirche sich weigerte, die Beerdigung zu übernehmen oder aber, was gar nicht so selten war, wenn die Angehörigen des Toten keine christliche Beerdigungsfeier wünschten.
    Verbittert fragte Dieter Segler nach der Anschrift des Freidenkerverbandes, aber so weit wollte Pastor Möller mit seiner Werbung für diese antikirchliche Gruppe nicht gehen.
    Dieter Segler versuchte es über die Telefonauskunft. Fehlanzeige. Irgendwer musste etwas sagen. Man konnte ihn nicht einfach so verscharren.
    Mutters Vorschlag, Dieter selbst solle eine kurze Rede für seinen Vater halten, lehnte er vehement ab. Er gehörte nicht zu der Sorte Menschen, die sich unbekümmert vor andere hinstellen und belangloses Zeug schwatzen, nur weil es einer tun muss.
    Im Frankfurter Hauptbahnhof kaufte er sich eine Portion Gyros im Fladenbrot und eine doppelte Portion Tzatziki. Ganz im Gegensatz zu seiner Mutter liebte er Knoblauch und befürchtete, in den nächsten Tagen nur noch knoblauchfreie Gerichte essen zu können. In Ichtenhagen roch man nicht nach Knoblauch. Dieter Segler hoffte, schon allein durch seinen Geruch eine Distanz zwischen sich und die Dorfbewohner zu bringen. Er gehörte dort nicht mehr hin. Er war längst zum Großstädter geworden.
    Als er nach dem zweiten Biss empört feststellte, dass man ihm ein knoblauchfreies Gyros mit Tzatziki angedreht hatte, lief er zum griechischen Stand zurück und schimpfte:
    „Das ist kein Tzatziki und das ist auch kein Gyros. Das ist höchstens geschnetzeltes Schweinefleisch in Joghurtsauce! Nicht ein Hauch von Knoblauch ist da dran!”
    Wenigstens der Grieche mit dem elektrischen Messer in der Hand war echt. Er hob die Schultern, ließ sie resignierend wieder Fallen, grinste breit: „Der Chef sagt, Deutsche lieben Knoblauch nicht. Sie wollen griechisch essen, aber deutsch riechen.”
    Demonstrativ warf Dieter Segler das von Fleisch überquellende Fladenbrot in den nah bei der Theke stehenden Papierkorb.
    Der griechische Verkäufer ärgerte sich nicht darüber. Im Gegenteil. Er schien Sympathie für Dieter Segler zu empfinden und zwinkerte ihm zu. Dieter hingegen empfand diese Geste als äußerst unverschämt.

42
    Bürgermeister Sendlmayr erklärte sich bereit, bei der Trauerfeier zu reden. Das erste Problem war also gelöst. Den Rest übernahm das Bestattungsinstitut aus der Kreisstadt. Nach der Beerdigung sollte in der Linde der allgemeine Leichenschmaus stattfinden. Mutter Segler fand das Wort „Leichenschmaus” geschmacklos und unpassend. Aber sie protestierte nicht. Sie war froh, dass ihr Sohn alles in die Hand nahm.
    „Acht Mark pro Nase, das ist nicht schlecht. In der Kreisstadt würden wir bestimmt zehn bezahlen. Dafür gibt es Kaffee und Kuchen. Die Schnäpse werden natürlich extra berechnet. Die soll jeder selbst zahlen. Oder übernehmen wir das auch?”
    Frau Segler schüttelte den Kopf. „Nein, ich will nicht, dass bei der Beerdigung getrunken wird.”
    „Die saufen sowieso”, warf Dieter Segler ein. Ihm war das egal, und auf ein paar Mark kam es ihm nicht an. Er wollte nicht als knausrig dastehen, sich aber auch nicht schröpfen lassen.
    „Wie viele Personen werden kommen?”
    Wie oft hatte seine Mutter nun schon an den Fingern abgezählt, wer garantiert, wer möglicherweise und wer keinesfalls kommen würde? Vorsichtshalber ließ Dieter Segler für vierzig Personen decken.
    „Wenn der Bürgermeister eine Rede hält und es etwas umsonst gibt, sind die Ichtenhagener gut zu Fuß”, spottete er und sah, wie sehr er seine Mutter damit verletzte.
    „Man macht keine Scherze im Angesicht des Todes.”
    Er fand, dass er seine Arbeit bisher gut erledigt hatte. Von der Zugfahrt, vom Sitzen in der Wohnküche, von dem steifen Getue und der verkrampften Art zu reden, schmerzte nun sein Rücken.
    Nie hatte seine Mutter so alt und gebrechlich auf ihn gewirkt wie jetzt. Das Gespräch mit ihr war mühselig, ein einziger Versuch zu verhindern, dass sie weinte. Sie hielt das Geschäft auch jetzt nicht geschlossen, und das Gebimmel der

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