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Traumfrau (German Edition)

Traumfrau (German Edition)

Titel: Traumfrau (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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Kaugummi kaufen möchte? Oder ein halbes Pfund Butter? Soll ich dich im Laden vertreten, während Bürgermeister Sendlmayr die Beerdigungsrede hält? – Überhaupt, wenn unsere Familie noch ein paar Skandale liefert, kommen sie vielleicht bald aus der Kreisstadt, nur um bei dir einzukaufen. Wie wäre es, wenn ich mich auch umbringen würde? Du könntest auf Tagesumsätze von tausend Mark kommen, glaubst du nicht? Vielleicht könntest du sogar eine Aushilfskraft einstellen.”
    Bisher hatte sie zwischen den Kundenbesuchen geweint, weil sie weinen wollte. Weil sie gelernt hatte, dass man Tote betrauert, dass Witwen weinen, und nun weinte sie gegen ihren Willen, aus Zorn über ihren Sohn, der sie angriff, statt ihr eine Hilfe zu sein. Sie brüllte zurück: „Du wirfst mir vor, dass Vater sich umgebracht hat? Ausgerechnet du?”
    „Was heißt hier: ausgerechnet du?”
    „Warum bist du weggegangen aus Ichtenhagen ?”
    Dieter sprang auf, griff erneut zur Schnapsflasche und goss sich ein. Sie brachte die Flasche mit einer schnellen Bewegung an sich und stellte sie unter den Tisch, als sei sie dadurch nicht mehr vorhanden.
    „Glaubst du, Vater hätte sich nicht umgebracht, wenn ich hier geblieben wäre? Was hätte ich denn hier tun sollen?”
    „Eine Familie gehört zusammen.”
    „Ich bin von hier abgehauen, weil ich es nicht mehr ausgehalten habe! Weil sonst ich dort am Angelteich gehangen hätte und nicht er! Mir geht es gut! Ich habe Freunde! Ich bin ein glücklicher Mensch! Und ich werde nicht nach Ichtenhagen zurückkehren! Nicht mal, um hier Urlaub zu machen! Ich bin hier geboren, aber ich gehöre nicht hierher!”
    Ihr Körper wurde von einem Weinkrampf geschüttelt. Sie griff nicht mehr an. Sie verteidigte sich nicht mehr. Sie gab auf. Ihr Kopf lief blutrot an. Eine Art Schüttelfrost erfasste sie und Dieter bereute seine groben Worte. Er wollte sie ungeschehen machen, wollte wieder ein braver Sohn werden und streckte die Hand nach seiner Mutter aus. Seine Fingerspitzen berührten sie am Oberarm. Sie sprang von ihm weg, als hätte sie ein glühendes Eisen berührt.
    „Fass mich nicht an! Lass mich!”
    „Aber Mutter, ich ... Mutter entschuldige bitte, ich ...”
    Sie sah ihn zwar immer noch nicht an, aber wehrte sich nicht länger gegen den Körperkontakt. Sie ließ zu, dass er sie an sich drückte. Dann schlang auch sie ihre Arme um ihn und schluchzte: „Mein Sohn! Mein Sohn ...”
    Er fuhr ihr mit der Hand über die Haare und wusste: Sie hatte wieder gewonnen.

43
    In der Linde die letzten Vorbereitungen für die Beerdigungsfeier treffen zu müssen, war eine gute Ausrede. Endlich konnte er das Haus verlassen. Frau Segler saß vor den letzten Postkarten, die sie an entfernte Verwandte schicken wollte. Niemand von denen würde erscheinen. Sie konnten es gar nicht. Die Postkarten kämen viel zu spät an. Aber sie brauchte jetzt eine Aufgabe, musste sich mit etwas beschäftigen, und das Schreiben von Trauerkarten erschien ihr angemessen. Sie hatte einen großen Vorrat im Laden und nahm zunächst die, die seit Jahren im Ständer gammelten. Trauerkarten mit angegilbten Rändern. Die dazugehörigen Briefumschläge klebten schon nicht mehr, aber als offene Drucksache war es ohnehin billiger.
    Wie sooft in letzter Zeit fiel der Skatstammtisch auch heute aus. Alles war durcheinander geraten. Das Interesse der Skatbrüder an ihrem Spiel war schon lange nur noch Pose. Nun gab der Tod von Hermann Segler allen die Möglichkeit auszusteigen. Martin Schöller stand an der Theke und trank sein drittes Bier. Neben seinem Glas, so platziert, dass es alle sehen mussten, ein Piccolo. Neuerdings veredelte Martin Schöller sein Pils mit einem Schuss Sekt. Er schmeckte ihn nicht wirklich heraus, fand aber, dass ihm ein bisschen Snobismus jetzt zustand. Es ging finanziell bergauf mit ihm. Es reichte noch nicht für eine eigene Wohnung und die völlige Trennung vom Elternhaus, aber um so dringender war sein Bedürfnis, den neu erworbenen Reichtum zur Schau zu stellen. Er trug nicht irgendwelche Schuhe, sondern Clarks, und am liebsten hätte er das Preisschild drangelassen. Er lief wie auf Watte. Die Ichtenhagener aber waren zu dumm, die besondere Qualität dieser Schuhe zu erkennen. Dazu musste einer ein weltgewandter Mann sein und englische von italienischen Marken unterscheiden können. Sein Piccolo hingegen fiel jedem auf. Das einzige Problem war: Er konnte nicht sagen, woher er das Geld hatte. Zumindest nicht hier in

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