Traumfrau mit Fangzähnen
halbleer, ohne darüber nachzudenken, was ich gerade tat.
Die Zusammenstellung der Songs verstärkte meine Unruhe noch weiter. Vermutlich sollten sie auf den Gig vorbereiten, denn als Nächstes kam »Bloodletting« von den Concrete Blondes. Ich dachte an Mar-Mars Worte, dass wir Vampire nur noch einen Mythos darstellten und die breite Öffentlichkeit nicht an unsere Existenz glaubte. Meine Mutter hört definitiv andere Musik als ich. Ich bin mir sicher, dass eine Menge Leute von unserer Existenz wissen.
Während sich der Raum langsam füllte, schlitterte mein Realitätsbewusstsein noch für eine Weile hin und her zwischen dem, was ich sehen wollte, und dem, was ich tatsächlich sah. Das Licht wurde gedimmt, ein roter Spot flammte auf und beleuchtete eine Bühne am Ende des Raumes. Der Smashing Pumpkins Song »We Only Come Out at Night« ertönte, und vier schwarzgekleidete, wie Schatten wirkende Menschen nahmen auf der schaurig rot erleuchteten Bühne ihre Plätze ein. Mein Herz raste. Als das rote Licht durch ein gelbes ersetzt wurde, konnte ich die Bandmitglieder besser erkennen. Am Keyboard saß ein schmächtiger Jüngling; der Drummer hatte eine Glatze und trug ein Cape anstatt eines T-Shirts; an einem Mikrofon stand das Mädchen, dessen Augen übertrieben stark geschminkt waren; und an einem zweiten Mikrofon stand Darius, eine elektrische Gitarre in der Hand und in einen Zorro-ähnlichen schwarzen Umhang und eine enge schwarze Lederhose gekleidet.
Ein bläulicher Spot richtete sich auf ihn, und in seinem Ohr blinkte ein Diamantstecker auf. Er trug sein blondes Haar offen, und als er den Zuschauern zulächelte, entblößte er längliche Schneidezähne. Er sah furchteinflößend und sexy zugleich aus. »Willkommen bei Vampire Project«, begrüßte er das Publikum. »Wir streifen durch die Nacht. Wir trinken euer Blut. Und wir hoffen, dass euch unsere Musik gefällt. Danke«, sagte er mit sinnlicher, tiefer Stimme. Das Licht wurde wieder rot, und die Band begann mit dem ersten Song, »Sword of Damocles« von Lou Reed. Ich blieb unerkannt weit von der Bühne entfernt an meinem kleinen Tisch. Ich wusste, dass Darius mich nicht sehen konnte, und ich hoffte, dass er meine Anwesenheit auch nicht spürte.
Obwohl Vampire Project nur Cover-Songs spielte, war die Band wirklich gut. Sie würden womöglich bald das Interesse der Medien auf sich ziehen. Darius versteckte sich, indem er sich in die Öffentlichkeit begab – eine riskante und vielleicht sogar tödliche Strategie. Doch bis jetzt schien es zu funktionieren. Die anderen Bandmitglieder hielten Darius wahrscheinlich keinen Deut mehr für einen Vampir als Marilyn Manson. Der Keyboarder und der Schlagzeuger wirkten wie zwei typische Rock-Musiker – für sie gehörte diese ganze Vampir-Nummer zur Show. Das Mädchen jedoch machte mir noch mehr Sorgen als zuvor. Sie war dünn, aber außergewöhnlich muskulös. Ihre Gesichtszüge hatten jegliche Unschuld verloren, und sie wirkte hart, beinahe grausam. Ich mochte sie nicht, ganz eindeutig, und es hatte nichts mit Eifersucht zu tun.
Das Guinness stieg mir langsam zu Kopf und machte mich emotional. Einfach dazusitzen und zusehen zu müssen, wie die Liebe meines Lebens auf einer öffentlichen Bühne stand und damit möglicherweise eine Katastrophe für die Vampire in Manhattan heraufbeschwor, übertraf selbst meine schlimmsten Alpträume. Und bei jedem verdammten Song, den die Band spielte, hatte ich das Gefühl, er sei direkt an mich gerichtet. Was sollte ich denn bitte schön auch denken, wenn Darius »Galapagos« von den Smashing Pumpkins sang, mit dieser letzten Zeile, die einem einfach nicht mehr aus dem Kopf ging? »And should I fall from grace here with you, would you leave me too?« Darius sah dabei genau in meine Richtung – obwohl ich mir hundertprozentig sicher war, dass er mich nicht sehen konnte. Das Konzert endete mit »I’m Your Man« von Leonard Cohen, in dem Cohen verspricht, seine Angebetete in jeglicher Hinsicht zufriedenzustellen.
Oh ja,
dachte ich. Ich nahm in der Tat alles persönlich.
Als die Lichter erloschen, bahnte ich mir einen Weg durch die Menge, bis ich hinter Darius stand, noch bevor er die Bühne verlassen hatte. Der rote Spot ging wieder an und tauchte uns beide in dämmriges Licht. »Darius«, begann ich, »hast du eine Minute Zeit?« Meine Stimme klang ruhig und kontrolliert, doch mein Herz raste, und in meiner Gefühlswelt herrschte das reinste Chaos.
»Daphne? Na so was, hallo.
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