Traumhaft verliebt - Roman
stürzte. Wer war sie, dass sie sich ein Urteil über die Frauen bilden durfte? Sie verbrachte ja nicht einmal die Feiertage mit ihren Eltern. Ihr Entschluss, sich zurückzuziehen, bedeutete jedoch noch lange nicht, dass andere voneinander abhängig waren, nur weil sie füreinander einstanden. Vielleicht konnte sie einfach nicht verstehen, wie es war, wenn man so viele Leute um sich hatte, die einen so sehr liebten, dass man nicht mal in ein Schlagloch auf der Straße geraten konnte, ohne dass jemand da war, der einem aufhalf und den Staub von der Kleidung klopfte. »Ich habe nicht nachgedacht«, lenkte sie daher ein.
»Weißt du, was dein Problem ist?«, fragte Dotty Mae. Sarah wagte nicht nachzuhaken, doch Dotty Mae fuhr ohnehin schon fort: »Dein Problem ist, dass du nie umsorgt worden bist, deshalb weißt du nicht, wie es ist, in einer liebevollen Gemeinschaft zu leben. Armes Mädchen.«
Einerseits war Sarah verärgert, weil Dotty Mae ein wenig herablassend wirkte, andererseits musste sie zugeben, dass die alte Frau recht hatte. Sie wusste nicht, wie es war, Freunde zu haben, auf die man seit Jahrzehnten zählen konnte. Die Beziehung zu ihren Eltern konnte man im besten Fall als freundlich distanziert bezeichnen und im schlimmsten Fall als stillschweigend entfremdet. Die einzige Person, die ihr das Gefühl gegeben hatte, unverbrüchlich hinter ihr zu stehen, war Gram gewesen.
»Wir planen einen Plätzchenverkauf, um damit zu den Kosten für Jazzys Behandlung beizutragen. Bist du dabei?«, fragte Raylene.
»Ich würde liebend gern Geld spenden«, sagte Sarah.
Dotty Mae seufzte.
»Was ist?« Sarah hob abwehrend die Hände. Offenbar waren emotionale Landminen über die ganze Backstube verteilt.
»Geld ist schön und gut«, erklärte Dotty Mae, »aber es ist nicht dasselbe, wie dich persönlich einzubringen. Ich weiß, dass du Plätzchen backen kannst, Sarah Collier. Deine Gramma Mia hat es dir beigebracht.«
»Schon gut, schon gut, ich werde Plätzchen backen«, willigte Sarah ein. »Sagt mir einfach, wann und wo.«
»Genau hier, genau jetzt«, erwiderte Christine. »Deshalb habe ich ja die Backöfen vorgeheizt.«
»Bitte sehr«, sagte Belinda und reichte Sarah eine blaue Ginganschürze.
Als Nächstes steckte Sarah bis zu den Ellbogen in Plätzchenteig, umgeben von Kameradschaftsgeist und saftigem Kleinstadttratsch. Sie musste zugeben, dass sie seit langer Zeit mal wieder richtig Spaß hatte. Irgendwann holte jemand eine Flasche Wein hervor, und die Geschichten wurden noch süffisanter, die Plätzchen noch köstlicher. Dann wandte sich das Gespräch wieder Travis zu. Das musste sie ihnen lassen: Die Damen vom First Love Cookie Club waren unbarmherzige Kupplerinnen.
»Sie hätten Travis sehen sollen, nachdem Crystal ihn verlassen hatte«, erzählte Belinda. »Es war so bewegend. Er war im Supermarkt, schob mit Jazzy auf der Hüfte den Einkaufswagen vor sich her und deckte sich mit Saft und Früchte-Snacks ein. Sie trug niedliche Kleidchen, Spitzensöckchen und schwarze Lederschühchen, und ihr blondes Haar ringelte sich über ihre Schultern.« Belinda legte eine Hand aufs Herz. »Da war dieser Mega-Macho mit seinem markanten Gesicht und den durchdringenden grauen Augen, der ganz allein für dieses zarte kleine Mädchen sorgte. Mein Gott, was für ein Held.«
»Vor allem wenn man weiß, dass er vorher so ein Tunichtgut war«, fügte Patsy hinzu. »Als Jazzy auf die Welt kam, hat er sein Leben komplett umgestellt. Zu schade, dass man das nicht auch von Crystal behaupten kann.«
»Typisch für Patsy, dass sie ihn als ›Tunichtgut‹ bezeichnet.« Raylene verdrehte die Augen. »Nennen wir das Kind doch beim Namen: Er war ein echter Rabauke.«
»Raylene«, tadelte Marva, »er ist dein Neffe.«
»Genau, wer wüsste es besser als ich? Ständig hatte er wegen irgendwelcher Ordnungswidrigkeiten Probleme mit der Polizei.«
»Nach dem Tod seiner Mutter hat er sich so aufgeführt.« Marva warf Raylene einen strengen Blick zu. »Wir machen alle Fehler.«
»Mal ehrlich, Crystal zu schwängern war das Beste, das Travis je passiert ist«, sagte Dotty Mae. »Ich mag gar nicht daran denken, wo er ohne Jazzy gelandet wäre.«
»Hm-hm.« Die ganze Gruppe nickte in stummem Einvernehmen.
Sie so reden zu hören, festzustellen, wie bewegt sie über Travis und seine Verwandlung vom rebellierenden Teenager zum liebevollen Vater waren, berührte eine Saite in Sarah. Sie spürte, wie ebenjene Kreativität auftaute, die seit
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