Traumhaft verliebt - Roman
entfernt über die Gleise in der Nähe des Futtermittel- und Getreidelagers ratterte, der Wind strich flüsternd durch die Paternosterbäume in ihrem Vorgarten.
Sie dachte an die Plätzchen, die sie für den Plätzchentausch am kommenden Freitag backen würde. Gewürzkekse. Die Damen im Club gaben ihren Plätzchen gern weihnachtliche Namen. Raylene hatte ihre Sorte Weihnachtsmann-Gewürzkekse genannt. Das Rezept stammte ursprünglich von ihrer schwedischen Urgroßmutter. Ein paar der Mitglieder des First Love Cookie Clubs mochten keine Gewürzkekse. Zu würzig, behaupteten sie. Nun, das war genau das, was Raylene reizte: Sie liebte exotische Gewürze. Der Hauch ferner Länder, vermischt mit reinem weißen Zucker und Mehl, verlieh den Plätzchen etwas Außergewöhnliches und unterschied sie von den langweiligen Vanilleplätzchen. Zumindest war das ihre Meinung.
Sie verschränkte die Arme vor der Brust, um sich vor der Brise zu schützen, die vom See heraufblies, und eilte mit gesenktem Kopf die Stufen der hinteren Veranda hinauf. In der Küche blieb sie stehen, um sich ein halbes Glas Rotwein einzuschenken, streifte ihre Schuhe ab und tappte in Richtung Wohnzimmer.
Earl lag ausgestreckt auf der Couch unter einer blau-silbernen Dallas-Cowboys-Decke, die sie für ihn gestrickt hatte. Der Fernseher lief. Ihr Gatte schnarchte geräuschvoll. Das Haus war aufgeräumt, der Fußboden frisch gesaugt, die Tische abgewischt. Earl hielt das Haus besser in Schuss als sie selbst.
Eine Schulter an die Türzarge gelehnt, blieb sie stehen und betrachtete ihn. Earl hatte ein freundliches Gesicht. Er lächelte oft, lachte viel und ließ sich nur schwer in Rage bringen. Über die Jahre war er ein bisschen runder geworden, aber er hatte kein Übergewicht. Sein Haar war immer weniger geworden, aber er sah gut aus mit Glatze. Nicht so gut wie Yul Brunner, aber immer noch attraktiv.
Alle mochten Earl. Er war der Typ Mann, der einem nicht nur sein letztes Hemd gab, sondern auch noch seine Hose und seine Schuhe, wenn man sie brauchte. Er war völlig unvoreingenommen, ein Mann, dem man ein Geheimnis anvertrauen konnte.
Sie kannte Earl Pringle, seit er ihr auf dem Spielplatz die Zöpfe langgezogen hatte. Er war so sehr Teil ihres Lebens, wie es ihre eigenen Geschwister waren. Er hatte ihr die Bücher von der Schule nach Hause getragen und ihr erklärt, dass er sie eines Tages heiraten würde, und er hatte Raylene mit elf Jahren am Valentinstag ihren ersten Kuss unter dem Liebesbaum gegeben. Er war ihr Ein und Alles, war ihr erster Freund, ihr erster Liebhaber gewesen, und er würde auch ihr letzter sein. Dennoch war er nicht der Einzige gewesen.
Raylene nahm einen Schluck Wein, holte tief Luft und kehrte einundvierzig Jahre in ihrer Erinnerung zurück, als sie gerade achtzehn geworden war und erfahren hatte, dass sie als Cheerleaderin der Dallas Cowboys auserwählt worden war. Es war einer der entscheidenden Momente in ihrem Leben gewesen, und der Erste, dem sie davon erzählen wollte, war Earl.
Sie spürte ihn im örtlichen Tante-Emma-Laden auf, der inzwischen längst durch einen riesigen Wal-Mart ersetzt worden war, wo er die Regale auffüllte. Sie war so aufgeregt gewesen, dass ihr gar nicht in den Sinn gekommen war, Earl könne ihre Freude nicht teilen.
»Ich freue mich für dich«, sagte er mit dem traurigen Gesicht eines getretenen Hundewelpen.
»Du siehst nicht gerade glücklich aus.«
Er bemühte sich um ein Lächeln. »Du wirst mich verlassen. Du wirst von professionellen Football-Spielern umgeben sein, die alles haben, was ich nicht habe: Geld, Macht, Ruhm.«
Sie hatte seine Schulter getätschelt. »Sei nicht albern. Ich liebe dich, Earl Pringle, selbst wenn du genauso heißt wie eine Kartoffelchips-Marke. Ich werde dich nicht verlassen.«
Doch genau das hatte sie.
Er hatte recht gehabt. Als die Football-Spieler mit ihr geflirtet hatten, war sie dahingeschmolzen wie Butter in der Sonne. Sie hatte Earl verletzt. Zutiefst verletzt.
Im Fernsehen fing eine aufgezeichnete Talkshow mit Roy Firestone an, der hinter einem Schreibtisch saß und darüber nachgrübelte, ob es die Cowboys ins Finale schaffen könnten. Sie hatten eine äußerst durchwachsene Saison hinter sich. Raylenes Meinung nach waren sie nicht mehr dieselben, seit Tom Landry in den Ruhestand gegangen war.
Sie nahm einen weiteren Schluck Wein und hätte sich fast verschluckt, als Roy Firestones Gast auf die Bühne geschlendert kam. Lance Dugan, ehemaliger
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