Traumjaeger und Goldpfote
»Warum bist du so lange fort gewesen?«, fragte er Magerwicht. Der flehende Ton dieser Stimme, die aus einem so kraftvollen Körper kam, erschien Fritti schrecklich unnatürlich. Die unterirdische Welt, die sich wie eine steinkalte, dicke Haut um ihn zusammengezogen hatte, dehnte sich wieder. Unglaublich! Sein Glück hielt an. Er stand unmittelbar vor Kratzkralle, und dieser erkannte ihn nicht!
»Steh auf, Faulpelz!«, fauchte Magerwicht. Das furchtsame Mauzen des Krallenwächters kam Traumjäger fast komisch vor. »Ich habe jemanden gefunden, der uns helfen kann, den Weg zurück zu den Haupttunneln zu finden. Dort gibt’s Futter! Hoch mit dir.« Kratzkralle richtete seinen massigen Leib auf.
»Er ist nicht richtig im Kopf, wie ich dir schon sagte«, meinte Magerwicht entschuldigend, als die drei sich in Bewegung setzten. »Wäre ich nicht gewesen, wäre er trotz all seiner Stärke umgekommen.« In der Stimme des Zahnwächters lag ein eigentümlicher Stolz.
Traumjäger befand sich nun in der wenig beneidenswerten Lage, Kamerad und Führer zweier Kreaturen zu sein, die ihm und seinesgleichen den Tod wünschten – er musste sie durch Tunnel führen, die ihm gänzlich unbekannt waren, bis in die tiefe, geheime Mitte des Labyrinths.
Kratzkralle, obgleich er jetzt wach schien und vorwärtstrottete, erkannte Fritti noch immer nicht wieder. Sein Verhalten schwankte zwischen Einfältigkeit und unerwartetem bösartigem Irrsinn. Einmal drehte er sich jäh zu Traumjäger um, heulte: »Schwarze Winde, schwarze Winde!«, und versuchte ihn mit seinen mächtigen Krallen anzugreifen. Es genügte ein scharfes Wort von Magerwicht, und er war wieder ein gekrümmtes, jammerndes Bündel.
»Das war nicht recht, nicht recht«, lispelte Magerwicht und schüttelte seinen narbenübersäten Kopf. »Er war einmal ein sehr bedeutender Anführer, musst du wissen.«
Nachdem sie eine Weile gewandert waren – Traumjäger verließ sich auf winzige Veränderungen der Lufttemperatur und des Luftdruckes, um sie in die Richtung zu führen, die er für die richtige hielt –, brachte er endlich den Mut auf, den Versuch zu machen, den nicht unfreundlichen Magerwicht auszuhorchen.
»Nun, wie geht’s voran mit den ›letzten Vorbereitungen‹, he? Leider war ich mit einigen wichtigen … ziemlich wichtigen Dingen … über … über der Erde beschäftigt gewesen.«
»Niemand erzählt dem armen, alten Magerwicht sehr viel«, klagte der Zahnwächter, »jedoch ich höre vieles. Große Dinge sind im Gange, großes Unbehagen … Neulich hörte ich zwei von meinen Wächterbrüdern flüstern, dass in Kürze die Oberfläche durchbrochen werden soll!«
Die Oberfläche … durchbrochen? Fritti hörte das überhaupt nicht gern. Etwas Furchtbares, Unfassbares stand bevor, und offensichtlich waren er und eine Horde schnatternder
Rikschikschik
die Einzigen, die etwas dagegen tun konnten. Nein, dachteTraumjäger und berichtigte sich selbst, ich kann gar nichts tun, sondern nur meine Freunde finden und vermutlich mit ihnen sterben.
War erst ganz Vastnir einmal in Bewegung, würde es kaum noch möglich sein, zu entfliehen, geschweige denn, zu viert oder fünft. Nein, alle Hoffnung – und eine dürftige dazu – ruhte auf den flinken Beinen von Eichhörnchen und einem übersättigten, gleichgültigen Hof.
»Sterngesicht! Kriechendes, schleichendes Sterngesicht! Ich werde ihm das Herz ausreißen!« Kratzkralle war heulend stehen geblieben und schleuderte sein schwarzes Maul von einer Seite auf die andere. Jäh wurde Fritti mit Entsetzen klar, dass er tatsächlich einen weißen Stern auf der Stirn trug – der verrückte Kratzkralle und der blinde Magerwicht hatten es ja nicht bemerken können! Doch jeder Bewohner des oberen Hügels, der seine Sinne beisammenhatte, würde ihn mit Leichtigkeit erkennen. Während Magerwicht den tobenden Kratzkralle beruhigte, legte Fritti seinen Kopf auf den Boden und rieb seine Stirn im Staub. Er entfernte den Schmutz aus seinen Augen und richtete sich auf.
Ich hoffe, das wird den Stern verbergen, dachte er – oder ihn zumindest so dunkel machen, dass ich, ohne aufzufallen, durchkomme. Ich werde niemals wie ein Krallenwächter aussehen, aber wenigstens, so hoffe ich, wie ein namenloser Sklave.
Der haarlose Zahnwächter hatte Kratzkralle dazu bewegen können, weiterzugehen, und obwohl der Krallenwächter sonderbare winselnde Geräusche von sich gab, hielt er jetzt für geraume Zeit Ruhe.
Traumjägers Richtungssinn schien sie
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