Traumkristalle
Laterne brennt noch immer nicht, aber der Wärter überzeugt sich im hellen Mondlicht, die Weiche steht richtig – auf den Schienen kein Hindernis – alles in Ordnung –
Da, im Taumel des Wunderbaren, denkt er wieder an sich, seines heißesten Wunsches, an seinen Sohn, an das Versprechen, das er seiner Frau gegeben –
Wenn das Glück kommen soll, so ist jetzt die Zeit – er greift nach dem dritten Nagel, wirft ihn fort und ruft:
„Komm zurück, unser Sohn!“
Und siehe da, der Zug nähert sich wieder, wieder beginnen die Räder zu rollen, die Schienen donnern unter ihnen, in gewohnter Weise braust der Zug heran, ungefährdet in den richtigen Weg lenkt die Maschine –
Der Wärter ist zurückgesprungen und starrt in die Fenster, und im letzten Wagen, im hell erleuchteten Abteil am offenen Fenster steht – sein Sohn!
„Otto! Otto!“
War er’s denn wirklich? Ja, ja, es war keine Täuschung, er hat ihn deutlich erkannt. Noch starrt er dem Zuge nach, dessen Laternen schon entschwunden sind – dann stürzt er vorwärts seinem Hause zu – was wollte er eigentlich, ja richtig, die Laterne muß angezündet werden – und – und die Mutter muß es wissen – ob sie ihn auch gesehen hat?
Auf dem schmalen Rand am Geleise rennt er auf seine Wohnung zu – da – da ruft’s ihm plötzlich entgegen:
„Halt! Vorsicht! Langsam!“
Er blickt auf.
Aus dem Graben am Bahndamm hat sich eine graue Gestalt aufgerichtet – der Zwerg! Der Zwerg!
Dem Wärter schwindelt es. Er will stehen bleiben, da tritt sein Fuß auf eine weiche, glitschige Masse – er gleitet aus und stürzt zusammen.
Die Gestalt im Graben richtet sich auf.
„Nur Ruhe, Ruhe, Mann! Ich bin nicht der Ritter von Schrobeck – der ist ja erlöst!“
Die Gestalt ist herangetreten und hilft dem Wärter auf die Füße. „Sie haben sich doch nichts getan? Nein? Na, ’s ist mir auch so gegangen, bin auch ausgeglitscht und in den Graben gerutscht – war nur eben dabei, mir die Kleider etwas abzuputzen –“
Der Wärter erholte sich.
„Um Gottes willen, wie haben Sie mich erschreckt! Wie könnt’ ich wissen, daß Sie hier sind, Herr Baumeister!“
„Na, ich bin nicht weniger erschrocken – aber ich bin schuld daran – warum mußt’ ich auf den dummen Spaß verfallen – na, seien Sie mir nicht böse, ich habe keine schlechte Angst ausgestanden, als ich Sie nicht auf der Strecke fand – und die Weiche verstellt – der Teufel möge die Schufte holen!“
„Wie? Da haben Sie die Weiche wieder in Ordnung gebracht?“
„Mit knapper Not. Wenn diese Nonnen hier – Aber nun lassen Sie uns erst einmal vorsichtig weiter am Damm entlang gehen, daß Sie Ruhe in Ihrer Bude bekommen. Wissen Sie denn, weshalb Sie hier gefallen sind? Weshalb ich Sie anrief?“
„Ich seh’ es jetzt. Die verflixten Raupen sind’s – ich hab’ schon gestern einen Zug im Walde gesehen.“
„Ja, die Raupen von Liparis monacha, der Nonne, dem Fichtenspinner, die uns den Wald abfressen. Sie wandern jetzt, zu vielen Millionen in einem Zuge. Und heute Nacht sind sie auf die Idee gekommen, hier auf dem Bahndamm entlang zu spazieren.“
„’s ist gräßlich, man kann kaum treten.“
„Na, das ist nur eine kleine Seitenpartie, wir sind schon darüber fort. Der Hauptzug kriecht weiter unten, hinter Ihrer Bude, übers Geleise, und wir können Gott danken, daß er’s tut; hätte er nicht den Zug aufgehalten – wer weiß, ob ich die Weiche rechtzeitig herumgebracht hätte, dann sie war richtig verteilt. Aber diese Viecher haben ja das Geleise wie mit Öl geschmiert, da kann die stärkste Maschine nicht bergauf fahren.“
„Was? Wie?“ fragt der Wärter stammelnd. „Die Raupen haben – aber die Nägel – Da sind Sie wohl gar selbst – Herr Baumeister – oben auf der Ruine –“
„Ja, ja, leider. Na, hören Sie mal zu. Es versteht sich, wenn Sie Schaden gehabt haben, ich komm’ für alles auf. Na, bestraft bin ich genug durch die Angst. – Also, ich komm’ gegen Abend droben beim Förster an. Die herrliche Mondnacht lockt mich, noch zur Ruine hinauf zu steigen. Ich sitze wohl eine Stunde da. Prächtig! Da höre ich unten jemand den Berg herauf kraxeln. Ich denke, was sucht einer jetzt hier? Da fällt mir die Geschichte vom grauen Zwerg ein – sollte etwa? Ich rechnete nach, am 18. Mai war Pfingsten – richtig, heut’ ist der achte Sonntag nach Trinitatis und Vollmond dazu – aha, denke ich, das siehst du dir mal an.
Ich krieche hinter die
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