Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Traumkristalle

Traumkristalle

Titel: Traumkristalle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurd Laßwitz
Vom Netzwerk:
wie viele er auch fragte, über das Selbstbewußtsein konnte er keine Auskunft erlangen.
    Ein Geheimer Medizinalrat hörte ihn aufmerksam an, befühlte seinen Kopf, sah ihm in die Augen und ließ sich die Zunge herausstrecken. Dann sagte er:
    „Das Selbstbewußtsein beruht vermutlich auf der Tätigkeit der Großhirnrinde. Es scheint, daß Sie kein normal entwickeltes Großhirn besitzen. Wenn es Ihnen gelänge, durch sorgfältige Kopfmassage die Hirntätigkeit zu stärken, so wäre es möglich, daß Ihre geistige Organisation sich vervollkommnete. Auf jeden Fall sind Sie von meinen Kollegen falsch behandelt worden; sie verstehen sämtlich nichts. Im übrigen rate ich Ihnen zu dem von mir empfohlenen Kraftleguminosen-Extrakt. Mit den philosophischen Begriffen aber quälen Sie sich nicht weiter ab; das ist alles dummes Zeug. Was uns nicht in den Organen wächst, das kann uns auch nichts helfen. Die Konsultation kostet fünfzig Mark, die mein Diener in Empfang nimmt. Adieu!“
    Endlich trat der Geist in das Kontor eines Kommerzienrates. Das war ein leutseliger Herr, der ihn zum Frühstück einlud, als er merkte, daß er ihn nicht anpumpen wollte. Als sie ein paar Gläschen Wein getrunken hatten, klopfte er ihm auf die Schulter und sagte:
    „Lieber Herr, sehen Sie, ich bin ein Mann mit allgemeinen Interessen, ein Mann, der ein Herz hat für sein Volk und sein Vaterland, und ich bin ein praktischer Mann. Man weiß das, und man wendet sich an mich. Ich gebe immer, wo es heißt, für Kunst und Wissenschaft etwas zu tun. Entrieren Sie ein wissenschaftliches Unternehmen, das Geld kostet, es soll an mir nicht fehlen. Veranstalten Sie eine Polarexpedition, eine Tiefbohrung, einen Explosivstoffversuch – aber mit Selbstbewußtsein und Bewußtsein und dem philosophischen Zeug bleiben Sie mir vom Leibe! Ich habe noch nie gehört, daß man für die Philosophie Geld verlangt oder ausgegeben hätte, folglich kann sie auch nichts wert sein. Ich versichere Sie – und Sie können mir das glauben, weil ich mitten im Leben stehe und die Welt kenne -: kein Mensch mag heutzutage von Philosophie etwas wissen.“
    „Aber ich habe doch gelesen“, bemerkte der Erdgeist schüchtern, der durch seinen Umgang mit Menschen schon einigermaßen gebildet geworden war und sich jetzt an einige Sätze aus der Abhandlung von Mirax erinnerte, „das eigentliche Wesen der Welt ist der Geist, und wer sich auf eine höhere Stufe des Geistes erheben könnte, der würde dadurch den Weltprozeß selbst wesentlich fördern.“
    „Ob Sie den Weltprozeß damit fördern“, erwiderte der Kommerzienrat, „das verstehe ich nicht; aber ich rate Ihnen, fördern Sie lieber Steinkohlen oder Strontianit, das wird Sie selbst mehr fördern. Ich habe da einen Neffen, der hat Philosophie studiert und schreibt den ganzen Tag, aber ich glaube nicht, daß ihm jemand etwas für seine Bücher gibt.“
    „Ein Philosoph, der Bücher schreibt?“ rief der Erdgeist in der frohen Erwartung, endlich sein Ziel gefunden zu haben. „Das ist vielleicht Heino Mirax?“
    „O! Mirax? Der berühmte Mirax? Ja, wenn er der wäre! Der versteht es! Sehen Sie, der Mann macht Geld, der schreibt in alle unsere großen Revuen, und seine Bücher haben viele Auflagen. Das lasse ich mir gefallen! Aber mein Neffe meint, das sei überhaupt keine Philosophie, sondern Schwindel! Nun, sehen Sie, im Vertrauen gesagt, ich kann es nicht beurteilen. Ich lese Mirax, weil es Mode ist, und man kann sich etwas dabei denken. Es kitzelt uns. Der Mann enthüllt die tiefsten Geheimnisse der Welt, wie unsereiner sein Pult aufschließt; es macht ihm gar keine Mühe. Was geht es mich an, ob er dabei flunkert? Das ist nicht mein Fach; wenn er eine Anleihe aufnehmen will, werde ich ihn mir näher ansehen. Aber seine Bücher lese ich wie einen Roman; da freut es unsereinen, wenn man so schön sieht, wie sich der Geist entwickelt und wie der Mensch später aussehen und speisen wird, und wie es unserer verstorbenen Urgroßmutter geht.“
    „So sehen Sie doch, daß das Publikum an der Philosophie Anteil nimmt.“
    „Ja, wenn Sie es so meinen – aber es ist doch eigentlich nur des Spaßes halber; ich glaube nicht, daß sich einer im Ernste darauf verläßt. Man macht es eben mit, bis wieder einmal ein anderer kommt. Und dann, wie gesagt, mein Neffe hält nichts davon, und ich dachte, Sie meinten mit Philosophie die Beschäftigung meines Neffen. Und das, was dieser treibt, soviel kann ich Sie versichern, das versteht einer

Weitere Kostenlose Bücher