Traumkristalle
Welt zu erzwingen.“
„Und was kann ich dazu tun?“ fragte der Erdgeist etwas enttäuscht.
„Setzen Sie sich als Subjekt einem Objekt gegenüber. Haben Sie sich schon einmal verliebt ?“
„Nein“, sagte der Erdgeist beschämt.
„Nun, so versuchen Sie es“, ermunterte ihn Mirax. „Wenn Sie etwas finden, von dem Sie fühlen, daß es zu Ihnen gehört, während es Ihnen doch nicht erreichbar ist, so hat die Spaltung des Bewußtseins begonnen. Dann werden Sie bald die Erscheinung der Erdoberfläche als Ihr äußeres Gewand erkennen, und Sie werden durch den Fortschritt Ihres Geistes imstande sein, die Natur zu ungeahnter Vervollkommnung zu bringen. Sie werden dann z.B. einsehen, daß es gut wäre, den Magen der Menschen zum Verdauen unmittelbar mineralischer Nahrung einzurichten, um uns den Sonnenbewohnern zu nähern; oder Sie könnten den Isthmus von Panama durchbrechen oder sonst eine Kulturaufgabe lösen.
Derartige Leistungen erwarte ich von Ihnen, sobald Sie aus Ihrem elementaren Traumleben in das Reich der selbstbewußten Geister getreten sind. Nun versuchen Sie Ihr Heil und geben Sie mir bald wieder Nachricht, damit ich einen Artikel über Sie schreiben kann.“
„Wie?“ rief der Erdgeist unwillig. „Nur darum soll ich das Selbstbewußtsein erwerben, damit ich mich in den Dienst Eurer Kultur stelle? Damit ich Eure Arbeit auf meine Schultern nehme? Oder damit Sie einen Artikel schreiben können? Das will ich mir doch noch überlegen!“
Mit diesen Worten stampfte er auf den Boden, der ihn verschlang, während eine furchtbare Schwefelwasserstoffexhalation Heino Mirax’ Studierzimmer erfüllte.
Mit den Menschen freilich wollte der Erdgeist nun nichts mehr zu tun haben, nachdem er erkannt hatte, wie es um sie stand. Um das höchste ihrer Güter, das Selbstbewußtsein, kümmerten sie sich nicht; und ihm wollten sie nur davon mitteilen, um sich selbst das Leben zu erleichtern. Aber der Gedanke, ob er nicht zum Selbstbewußtsein gelangen könne, ließ ihm doch keine Ruhe; er konnte ja dann immer noch tun und lassen, was er wollte. So suchte er nach einem Objekt, dem er sich gegenübersetzen könne.
Sobald er etwas bemerkte, was ihm gefiel, machte er sogleich den Versuch, ob es ihm erreichbar sei. Der Geisir besaß eine schöne Tabakspfeife, denn er rauchte noch immer stark; aber kaum hatte der Erdgeist den Wunsch danach ausgesprochen, so wurde sie ihm schon dediziert. Und so ging es ihm mit allem. Es gab wohl vielerlei, was er nicht erlangen konnte, so z. B. das Selbstbewußtsein; aber er fühlte nicht, daß diese Dinge zu ihm gehörten, und so nützten sie ihm nichts zur Spaltung des Bewußtseins. Was aber zu ihm gehörte, die eisigen Spitzen des Himalaja und die Glutbäche des Erdinnern, das gehorchte seiner Gewalt, und die Spiele seiner Geisterlaune waren die Gesetze der Natur.
Eines Tages ging er höchst verdrießlich auf Grönland spazieren, wo er eben den Seehund besucht hatte. Da sah er lichte Strahlen emporzucken, in bunten Feuern erglänzte das Firmament, ein herrliches Nordlicht enthüllte seine Pracht den staunenden Blicken des Erdgeistes. Er fühlte, daß diese Erscheinung zu ihm, zu seinem Erdleben gehöre, und er wünschte die Strahlenkrone aufsein Haupt zu setzen. Doch wie er die Hand danach ausstreckte, wich sie zurück; von ihm fort flohen die Nordlichtgluten, vergebens befahl und drohte, vergebens bat er und flehte – unerreichbar in der Höhe des äußersten Luftkreises, unerreichbar dem schwerfälligen Geiste der Erdrinde flatterte die flüchtige Lichtgestalt einher. Da erfüllte unendliche Sehnsucht sein Herz, und zum ersten Male rief er die Zauberformel: „Ich bin dein!“
Der Erdgeist hatte sich in das Nordlicht verliebt. Wie es nicht anders sein konnte, erfüllte sich die Vorhersagung des Miraxianismus. Die Spaltung seines Bewußtsein war in demselben Augenblick vollzogen; weit klafften die beiden Hälften als Ich und Du auseinander. Ein seltsamer Schimmer erhellte sein Gemüt.
Von den Polen zuckten die Nordlichtstrahlen in das Erdinnere; das Dunkel wich zurück, und klar erleuchtet sah Lithosphäros plötzlich rings um sich eine Welt. Wie verändert war alles auf einmal! Er sah den Wirbeltanz der Welten im All, sah die Sonnen in ihren Bahnen gehen und erkannte die großen Fügungen, die das Universum zusammenhalten. Aber nun erkannte er auch sich selbst und fand, daß er gar nicht mehr der Erdgeist war, dem es auf seiner Kegelbahn so wohl benagt hatte. Poseidon und
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