Traumkristalle
nicht so leicht. Aber wenn Sie es einmal versuchen wollen – dort drüben wohnt er.“
Der Erdgeist ging zu dem Philosophen. Auf dem Wege dachte er, daß es doch eine bedenkliche Geschichte sein müsse mit dem Selbstbewußtsein, wenn die Menschen sich so wenig darum kümmerten und nichts damit anzufangen wüßten. Und die Philosophie! Die eine Art wurde nicht respektiert, weil sie bloß zur Befriedigung der Neugier dient, und die andere Art mochte überhaupt niemand näher ansehen. Sollte er nicht lieber ohne Selbstbewußtsein bleiben? Aber nun wollte er doch wenigstens noch einen Versuch machen.
Er war ungeduldig und ärgerlich geworden, und als er bei dem Philosophen eintrat, donnerte er ein wenig mit der Tür und rief ihn in seiner Erdgeistmanier an:
„Wie gelange ich zum Selbstbewußtsein?“
Der Philosoph sah ihn bedächtig an und sagte:
„Wollen Sie nicht erst eine Zigarre nehmen? Bitte, hier. Und nun, womit kann ich dienen?“
„Ich bin der Erdgeist Lithosphäros“, sprach der Geist etwas besänftigter, „und möchte wissen, was das Selbstbewußtsein ist, und wie man dazu gelangt.“
Der Philosoph lächelte ein wenig und sagte, indem er sich selbst eine Zigarre anzündete:
„Das Selbstbewußtsein ist die synthetische Einheit der Apperzeption, durch welche das Ich aus dem Zustande des lediglich subjektiven Erlebnisses heraustritt, indem es sich seinem Bewußtseinsinhalte als dem ihm gegebenen Objekte gegenübersetzt. Das selbstbewußte Bewußtsein unterscheidet sich von der bloßen Bewußtheit dadurch, daß es ein Verhältnis zu seinem Erlebnis besitzt. Somit wissen Sie, was das Selbstbewußtsein ist. Aber wie man dazu gelangen kann, wenn man es nicht besitzt, das ist eine Frage, die niemand beantworten kann, weil sie über die Grenzen der Erfahrung hinausgeht. Wir können nur analysieren, was in unserem Bewußtsein gegeben ist; wie es hineinkommt, das ist eine unzulässige Frage, und sie zu diskutieren, ist unwissenschaftlich.“
Mit diesen Worten wandte sich der Philosoph wieder zu seinen Büchern.
Der Erdgeist stand sehr niedergeschlagen da und sagte:
„Lieber Herr Philosoph, nehmen Sie es mir nicht übel, aber ich habe noch nicht recht verstanden, was Sie meinen. Könnten Sie mir die Sache nicht etwas populärer darstellen?“
„Nein“, entgegnete der Philosoph kurz, „das kann ich nicht; das wäre unter meiner Würde und würde mich als Gelehrten diskreditieren.“
„ Aber gibt es denn wirklich keinen Weg, zum Selbstbewußtsein zu gelangen?“
„Ich sage Ihnen ja, daß man hier nichts wissen kann. Der menschliche Verstand reicht nicht über seine Grenzen; wer Ihnen mehr verspricht, der phantasiert. Wenn Sie aber kein Selbstbewußtsein haben, so seien Sie froh, alsdann kann Sie die ganze Frage nichts kümmern. Die Rätsel des Daseins beginnen erst mit dem Augenblicke, da Sie sich als Ich gegenüber der Welt erkennen; bleiben Sie in dem glücklichen Zustande, in welchem es nichts gibt als das unbesorgte Spiel Ihres eigenen Gemüts!“
„Aber Herr Mirax hat doch geschrieben –“
„Herr Mirax?“ rief der Philosoph und lachte laut. „Ja, wenn Sie Mirax gelesen haben, der weiß es freilich; der konstruiert Ihnen die Welt auf Bestellung und sieht überall Geister; der wird Ihnen auch sagen können, wie Sie zum Selbstbewußtsein kommen. Aber da müssen Sie sich schon zu ihm bemühen. Ich empfehle mich.“
Und so fragte sich denn der Erdgeist glücklich bis zu Heino Mirax hindurch. Da er ihm imponieren wollte, so erschien er ihm in seiner natürlichen Gestalt, wie er im Erdrindenkasino zu kegeln pflegte. Aber Mirax war an Geistererscheinungen gewöhnt, und so erregte Lithosphäros bei ihm wenig Schrecken. Als der Erdgeist seinen Namen nannte, flog ein stolzes Lächeln über Mirax’ Züge. Sein großer Plan war gelungen, er hatte den Erdgeist beschworen, und jetzt sollte die Erziehung des Elementargeistes zum Vernunftwesen beginnen!
Nachdem Mirax dem Erdgeiste nochmals kurz die Grundzüge des Mystotranszendentalismus gepredigt hatte, ermahnte er ihn eindringlich, sich nunmehr um das Selbstbewußtsein zu bemühen, indem er ein Verhältnis zu sich selbst zu gewinnen strebe.
„Wenn Sie erst begreifen“, sagte er, „daß Ihr ganzes Leben von Ihnen selbst erlebt wird; wenn Sie merken, daß Sie selbst etwas anderes sind als das, was Ihnen begegnet; wenn Sie sich als Zuschauer Ihres eigenen Seins fühlen – dann haben Sie Selbstbewußtsein. Suchen Sie den Gegensatz von Ich und
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