Traumlos, Band 1: Im Land der verlorenen Seelen (German Edition)
mitgebracht.«
»Essen?«
Caleb und Hailey setzen sich gleichzeitig auf und begegnen unvermittelt Kiras bösem Blick. Caleb scheint das nicht zu bemerken, er wendet sich direkt den frischen Brötchen zu, die Jules ihm reicht. Hailey hält Kiras Blick nur wenige Augenblicke stand, dann wendet auch sie sich dem Essen zu. Der Schmerz in Kiras Augen tötet jedes Glücksgefühl in Haileys Körper ab.
»Wie konnte ich sie nur so verletzen? Ich habe doch gestern bemerkt, wie viel Caleb ihr bedeutet und jetzt...«
Verzweiflung steigt in Hailey auf und sie kämpft sie tapfer nieder. Wenn sie jetzt zusammenbricht, würde das niemand verstehen. Am allerwenigsten Kira. Wie soll sie ihr das auch erklären.
»Mir geht es schlecht, weil ich so großes Mitleid mit dir habe? Immerhin bin ich jetzt mit deiner großen Liebe glücklich.«
Eine unglaubhafte Wahrheit.
»Ich werde gehen.«
Erschrocken sehen alle auf und wenden sich Kira zu. Jeder ist von diesen Worten überrascht – jeder bis auf Hailey. Sie weiß, warum Kira gehen will und sie wird sie nicht aufhalten können. Und tief in ihrem Herzen möchte sie das nicht einmal.
»Warum?«, fragt Caleb und Hailey würde ihn am liebsten ohrfeigen.
»Weil du ihr Herz gebrochen hast! Meinetwegen!« , möchte sie ihm entgegenbrüllen, aber sie schweigt.
»Für mich gibt es nichts mehr zu tun.« Sie erhebt sich und wirft einen Blick aus dem Fenster. »Der Tag ist jung. Wenn ich mich beeile, schaffe ich es noch in die Wälder. Dort werde ich mich irgendwie durchschlagen.«
»Es gibt noch viel zu tun!«, wendet Caleb ein. Er möchte gerne aufstehen, doch seine Beine sind noch zu schwach und so sinkt er wieder auf den Boden. »Hailey und ich haben beschlossen, dass wir die Menschen über die Machenschaften der Regierung aufklären wollen. Dafür brauchen wir jede Hilfe, die wir bekommen können.«
Unsicher hält Kira inne. Für einen kurzen Augenblick tritt ein wehmütiger Ausdruck auf ihr Gesicht, dann setzt sie wieder ihre undurchdringliche Maske auf.
»Meine Hilfe bekommt ihr nicht. Ich muss meinen eigenen Weg finden. Gebt auf euch Acht.«
Bevor jemand reagieren kann, ist sie aus der Tür gestürmt. Hailey könnte schwören, dass sie einige Tränen im herannahenden Sonnenlicht glitzern gesehen hat.
»Was ... war das?«
Fragend sieht Jules Macy an, die nur entgeistert auf den Türrahmen starrt.
»Ich habe keine Ahnung.«
Jules legt sein Brötchen zur Seite und sieht nachdenklich aus dem Fenster.
»Soll ich sie zurückholen?«
»Nein«, antwortet Caleb und sieht Jules dankbar an. »Sie muss ihren eigenen Weg finden, wir können sie nicht aufhalten. Aber danke.«
Wütend stürmt Kira die Treppen hinab. Das Holz knirscht unter ihren Füßen und einige Kleintiere suchen überrascht Schutz im Schatten der Lagerhalle. Sie liebt ihn. Sie liebt ihn, seit sie das erste Mal in seine ungewöhnlichen Augen blickte. Und nun liegt Hailey in seinen Armen.
Mit tränenverschleiertem Blick läuft Kira weiter. In ihrer Brust breitet sich eine tiefe Melancholie aus, ihr Verstand wird von Selbstmitleid vernebelt. Der Anblick von Haileys Kopf auf Calebs Brust und sein glückliches Lächeln dabei haben sich in Kiras Gehirn eingebrannt. Lästige neue Erinnerungen, die sich mit dem Schmerz aus ihrer Vergangenheit mischen und den Kummer ihres Herzens vergrößern.
Kurz bevor sie die Tür erreicht, verlangsamt sie ihre Schritte. In ihr brennt die Hoffnung, dass Caleb sie zurückhalten wird. Dass er ihr nachrennt, um ihr zu erklären, dass alles nur ein Missverständnis sei. Dass er schon immer nur sie, Kira, geliebt habe.
Wie oft hatte sie sich in ihrer Zelle ausgemalt, dass Caleb sie beim Mittagessen küssen würde? Dass er ihr nach dem Abendessen seine Liebe gestehen würde? Zu oft. Zu kindisch. Sie möchte ihren Namen aus seinem Mund hören, aber bis auf ihren eigenen Atem bleibt alles still. Ohne Hast hebt sie ihre Hand zum verrosteten Türgriff. In einer Ecke des Raumes wagt sich eine Ratte mit tippelnden Schritten aus ihrem Versteck hervor und verschwindet durch ein Loch in der Wand nach draußen. Kiras Finger schließen sich um das kalte Metall. Vorsichtig drückt sie die Klinke nach unten und öffnet die Tür. Noch immer eilt ihr niemand hinterher. Als würde es ihn nicht interessieren, dass sie geht. Als würde sie ihm gar nichts bedeuten. Dabei hatte sie es in seinen Augen so oft aufblitzen sehen. Das Verlangen, ihr nahe zu sein. So oft berührte er sie zufällig am Arm, streifte
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