Traummann in Klischee - ein heiterer Frauenroman
hinein. War ich der Grund für ihre innere Verzweiflung? Eigentlich sollte sie sich doch schon längst mit mir und meiner Situation abgefunden haben. Es gibt nun mal Kinder, mit denen sich Eltern eher verhalten brüsten, aber das war in Ordnung für mich.
„Ich weiß Mama, du hast dir ein wenig mehr von deiner Tochter versprochen. Aber herrje, wahrscheinlich hab ich mich unterwegs einfach irgendwo verloren. Und nun, nun werde ich halt Babysitter.“
Mutter starrte ins Leere. Sie liebte mich, keine Frage, so wie man eben die kleinen unsicheren Persönlichkeiten unter dem Deckmäntelchen der Sorge besonders liebt. Meine Eltern gaben mir noch immer ihr Herz, schließlich war ich die einzige Tochter und somit die Prinzessin am Hof. Ich kümmerte mich um meine alten Herrschaften und kämpfte mich mehr recht als schlecht durchs Leben. Es hätte ja auch schlimmer sein können.
„Immerhin könnt ihr eure ganze Hoffnung und Energie noch in Tom stecken. Der hat das Potential zu Höherem, glaub mir.“ Mama erwachte aus ihrer Lethargie.
„Du Antonia, mein Kind, der Tom, der bewegt sich da in Kreisen, ich weiß nicht. Jedes Wochenende auf Tour, am nächsten Morgen mit einer Fahne am Frühstückstisch, kiffen tut er bestimmt auch, und eine Freundin hat er, so ein dürres Geschöpf, sieht aus wie ein Hungerhaken, und maulfaul ist die.
Ich frage mich, was der an ihr findet. Kannst du nicht mal mit ihm sprechen?“, Mutter war voller Sorge. Somit galt ihr Kummer also gar nicht mir, sondern unserem jüngsten Familienspross, und ich war schon der Meinung gewesen, ihr etwas betrübter Gesichtsausdruck samt der inzwischen bereits entzündeten zweiten Zigarette (sie raucht täglich nur eine) wäre Ausdruck ihrer Angst meine Person betreffend. Ha, das beruhigte mich ungemein.
Ich versprach ihr, mit Tom zu reden, sobald er wieder nach Hause käme.
So von großer Schwester zu kleinem Bruder. Es gab einmal eine Zeit, da konnte ich ihn kampfunfähig machen. Ob mir dies allerdings heute noch gelang?
Irgendwann gegen zwei, meine Eltern waren schon seit Stunden im Bett, schaltete ich die Leselampe an meinem einstigen Jugendbett in meinem einstigen Zimmer aus, mit Tom war nicht mehr zu rechnen.
Am Frühstückstisch fragte ich nach meinem kleinen Bruder. Vater schwieg wie immer zu diesem Thema, und Mutter teilte mir mit, er wäre gegen sieben Uhr eingetrudelt, in Begleitung seiner Freundin. Sie schliefen beide noch. Na klar. Nach nur zwei Stunden Schlaf würden die doch noch nicht ihr Bett verlassen haben, Moment, eine Stunde, die andere hatten sie womöglich, womit auch immer zugebracht. Gespräche über den Philosophen Herbert Marcuse vielleicht?
Nach dem Frühstück spazierte ich mit Mutter eine Runde im Stadtpark, kaufte mit ihr gemeinsam einen neuen Pullover und setzte mich mit ihr in ein Café, um ihr mein amouröses Robertabenteuer in allen Einzelheiten zu erzählen. Wenigstens konnte ich sie damit zum Lachen bringen. Sie amüsierte sich köstlich. Wenngleich, den Robert, den hatte sie immer gemocht, und unsere Trennung stimmte sie damals recht traurig.
Als wir nach Hause kamen, war es bereits nachmittags. Papa saß wie immer schweigend auf der Terrasse und las, diesmal in einer Fachzeitschrift für Literatur, und mein Bruder samt Freundin schlief noch. Wir setzten uns dick eingemummt bei Schwarztee und Apfelkuchen zu Papa und lauschten dem Vogelgezwitscher, dem Ehekrach der Nachbarn und einer Mahler-Sinfonie, die leise aus den Lautsprechern im Wohnzimmer herüberwaberte.
Am späteren Nachmittag dann, ich befand mich gerade in der oberen Etage, öffnete sich Toms Zimmertür und eine wahrhaft superdünne, wahrscheinlich weibliche Gestalt (die primären Geschlechtsmerkmale, so sie denn vorhanden waren, waren durch langes blondes und strähniges Haar bedeckt), verhüllt einzig mit einem hellblauen Slip und einem gleichfarbigen Top, trabte an mir vorbei in Richtung Bad. Das war also Toms lasterhafte Beziehung. Ich schlich mich in Toms muffelige Räuberhöhle, öffnete sein Fenster, um frische Luft hineinzulassen, setzte mich auf sein Bett und pustete dem Schnarchenden mit aller Kraft in sein Ohr. Tom erwachte.
„Mensch Anton, lass das. Diese Weckmethoden sind schon längst nicht mehr angebracht“, und damit drehte er sich zur Seite.
„Sag mal Tom, ist deine Flamme nicht ein wenig dünn geraten? Ist sie überhaupt ein Mädchen? Schon rausgefunden?“, Tom schmiss mit seinem Kopfkissen nach mir, traf mich jedoch nicht, da er
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