Traummoerder
Aufzug zuzubewegen und zu hoffen, dass er hineinkam, bevor sich die Hunde auf ihn stürzten und ihn zerfleischten. Und dann musste das Ding auch noch gleich funktionieren!
Noch drei Meter. Zwei fünfzig. Es sah wirklich gut aus. Die Hunde waren nach wie vor reglos. Zwei, einen, einen halben Meter. Noch immer rührten sich die Bestien nicht.
Abel streckte die Hand nach dem Rufknopf aus. Plötzlich hörte er ein lautes Pling!, und die Türen öffneten sich, ohne dass er den Knopf berührt hatte. Er atmete erleichtert auf. Das verdammte Ding fuhr noch, Gott sei Dank. Vielleicht reagierte es noch auf seinen Befehl von vorhin. Er bewegte sich rückwärts auf den Lift zu und redete dabei weiterhin auf die Hunde ein. »So ist es gut, Jungs. Ich hab noch etwas zu tun. Einen schönen Tag wünsche ich euch.«
In dem Augenblick, in dem sein rechter Fuß den Kabinenboden berührte, vernahm er das Knurren. Er brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass er in der Falle saß – im Aufzug waren noch zwei Hunde.
Hinter ihm zwei Köter im Aufzug, zwei andere im Korridor vor dem Zugang zur Treppe.
»Ich hasse mein Leben.«
Was, zum Teufel, blieb ihm jetzt noch? Nichts. Das Dilemma aussitzen? Wäre möglich. Aber damit würde er lediglich darauf warten, in Stücke gerissen zu werden. Offenbar hatte ihn jemand hergelockt und das Ganze inszeniert. Aber wer und warum? Vielleicht seine Ex?
»Hey, Gina?«, rief er. »Bist du das? Hör mal, ich weiß, dass ich mich beschissen verhalten habe. Ich hätte aufhören sollen, als du es gesagt hast. Das ist mir jetzt klar. Aber, hey, bis zu dem Moment, schien es, als wären wir beide dabei …« Er besann sich und lächelte dümmlich. »Woher hätte ich das wissen sollen?«
Keine Antwort. Nur das Knurren der Hunde, das gelegentliche Tropfen von Speichel auf den nackten Beton und der Wind, der durch die Fensteröffnung pfiff, waren zu hören.
Das Fenster – es war die einzig verbliebene Möglichkeit. Abel konnte kaum fassen, dass er das überhaupt in Betracht zog. Was sollte er machen? Fliegen wie ein Vögelchen?
Eine halbe Minute verstrich. Plötzlich spitzten die Köter wieder die Ohren. Sie bebten vor Anspannung, und Abel wusste, dass es das Fenster sein musste. Zur Hölle, er würde sowieso auf grausame Weise sterben. Vielleicht gelang es ihm, zum Nachbargebäude zu springen. Wäre ein Feuer ausgebrochen, würde er auch lieber aus dem Fenster springen, als bei lebendigem Leibe zu verbrennen – und was war jetzt anders?
Es kostete ihn zwei Minuten, rückwärts zum Fenster zu kommen. Er spürte, wie ihm der Wind in den Nacken blies. Er drehte sich vorsichtig zur Seite und spähte in den Abgrund. Genauso gut hätte er von der Plattform des Empire State Buildings hinunterschauen können. Es kam gar nicht in Frage, dass er sich da hinauswagte. Auf keinen Fall. Er war kreidebleich vor Angst. Er würde warten. Das musste er. Möglicherweise griffen ihn die Bestien gar nicht an. Wer weiß?
Plötzlich kamen alle vier Hunde näher. An ihrer Absicht konnte kein Zweifel bestehen. Sie rückten ihm auf den Pelz, um ihn zu töten. Welche Chancen hätte er gegen sie? Mit einem wäre er vielleicht noch fertig geworden, aber mit vieren?
Instinktiv hob er die Hand zum Hals – die Kehle wäre das erste Angriffsziel – und spähte wieder durch das Fenster. Das Gebäude nebenan war ebenfalls ein verlassenes Mietshaus, ganz ähnlich dem, in dem er stand. Doch an der Seite war eine Feuerleiter befestigt, die über die gesamte Höhe reichte. Die Lücke zwischen den Häusern war höchstens drei Meter breit. Konnte er das schaffen?
Die Köter waren direkt hinter ihm, als er auf das Sims stieg. Sein Herz raste, als würde es gleich explodieren. Er schwankte leicht, ehe er sich an beiden Seiten der Öffnung abstützte. Er konzentrierte sich eisern auf die Feuerleiter gegenüber.
Na dann, los. Abel bekreuzigte sich, Tränen flossen ihm über die Wangen. Leb wohl, grausame Welt, dachte er und verzog das Gesicht.
Die Hunde sprangen hoch. Abel setzte an.
Er flog mit außergewöhnlicher Anmut durch die Luft, wenn man bedachte, dass er fünfundvierzig Jahre alt und vollkommen außer Form war. Der Selbsterhaltungstrieb bewirkt Wunder. Er macht Unmögliches möglich. Seine rechte Hand berührte das untere Metallgeländer der Feuerleiter, und seine Finger schlössen sich um eine Sprosse. Die linke Hand rutschte ab, und er schwang wie eine Marionette dreimal hin und her, bevor er die Leiter mit der freien
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