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Traumpfade

Traumpfade

Titel: Traumpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Chatwin
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auch immer die Höhle als Beinhaus benutzte, es hatte eine Vorliebe für Primaten.
    Brain spielte mit dem Gedanken, daß »menschenfressende« Leoparden am Werk gewesen seien, aber diese Hypothese hatte mehrere Haken:
     
Statistiken afrikanischer Wildparks zeigen, daß Paviane nicht mehr als zwei Prozent der normalen Nahrung eines Leoparden ausmachen.
In den höheren Schichten von Swartkrans, als die Höhle eindeutig von Leoparden bewohnt wurde, ließen sie reichliche Überreste ihrer gewöhnlichen Beute, des Springbocks, zurück, während Paviane auf drei Prozent zurückgingen.
     
    War es möglich, daß Leoparden eine »anomale« Menschenfresserphase durchgemacht hatten und danach zu ihren früheren Gewohnheiten zurückkehrten?
    Außerdem fand Elizabeth Vrba, als sie mit der Analyse der Rinderknochen in der Höhle begann, in überwiegender Zahl Tiere – wie zum Beispiel die Kuhantilope –, die zu kräftig gebaut waren, als daß ein Leopard es mit ihnen hätte aufnehmen können. Ein anderer, stärkerer Fleischfresser mußte am Werk gewesen sein. Welcher?
    Es gibt drei Hauptkandidaten, die alle inzwischen ausgestorben sind und die ihre Fossilien im Sterkfontein-Tal zurückgelassen haben.
     
    a)   Die langbeinigen Jägerhyänen, Hyenictis und Eury boas.
    b)   Der Machairodus oder Säbelzahntiger.
    c)   Die Gattung Dinofelis oder »falscher Säbelzahntiger«.
    Die Säbelzahntiger hatten kräftige Nackenmuskeln und konnten gewaltige Sprünge machen; und in ihrem Oberkiefer hatten sie sichelförmige, an den Schneidekanten gezackte Eckzähne, die sie in den Nacken ihrer Beute gruben. Sie waren besonders dazu ausgerüstet, große Pflanzenfresser zur Strecke zu bringen. Ihre Reißzähne taugten zum Schneiden von Fleisch mehr als die aller anderen Karnivorenarten. Doch ihre Unterkiefer waren schwach, so schwach, daß sie kein Skelett auffressen konnten.
    Griff Ewer hat einmal die Hypothese geäußert, daß sich die knochenzermalmenden Backenzähne der Hyäne entwikkelt hätten, weil der Vorrat der von Säbelzahntigern zurückgelassenen Kadaver so unerschöpflich war.
    Offenbar waren die Höhlen im Sterkfontein-Tal über einen sehr langen Zeitabschnitt von einer Vielfalt von Karnivoren bewohnt.
    Brain nahm an, daß ein Teil der Knochen, vor allem der der größeren Antilopen, von Säbelzahntigern und Hyänen in gemeinschaftlicher Arbeit in die Höhle gebracht worden war. Auch die Jägerhyänen könnten ein paar Hominiden hineingeschleppt haben.
    Doch beschäftigen wir uns mit der dritten Möglichkeit.
    Der Dinofelis war eine weniger geschmeidige Wildkatze als der Leopard oder der Gepard, aber sehr viel kräftiger gebaut. Er hatte gerade, dolchartige Killerzähne, der Form nach zwischen den Zähnen eines Säbelzahntigers und eines heutigen Tigers. Sein Unterkiefer konnte sich abrupt schließen, und weil er wegen seiner etwas plumpen Gestalt heimlich auf die Jagd gegangen sein muß, hat er wahrscheinlich nachts gejagt. Er mag gefleckt gewesen sein. Er mag gestreift gewesen sein. Er mag, wie ein Panther, schwarz gewesen sein.
    Seine Knochen sind vom Transvaal bis nach Äthiopien ausgegraben worden – das heißt, im urzeitlichen Verbreitungsgebiet des Menschen.
    Im Roten Raum hatte ich soeben den fossilen Schädel eines Dinofelis in den Händen gehalten: ein perfektes Exemplar mit einer klebrig-braunen Patina. Ich ließ es mir nicht nehmen, die Kinnlade zu bewegen und die Reißzähne genau zu betrachten, während ich sie schloß.
    Der Schädel stammt von einem von drei vollständigen Dinofelis-Skeletten – ein Männchen, ein Weibchen und ein Junges –, die zusammen mit acht Pavianen und keinen anderen Tieren 1947/48 in fossilem Zustand in Bolt’s Farm nahe Swartkrans gefunden wurden. Ihr Finder, H.B.S. Cooke, nahm an, daß sich die Dinofelis-»Familie« auf Pavianjagd befand, als sie alle in eine natürliche Grube fielen und gemeinsam den Tod fanden.
    Ein seltsames Ende! Aber nicht seltsamer als die nach wie vor ungeklärten Fragen: Warum waren so viele Paviane und Hominiden in diesen Höhlen? Warum so wenige Antilopen und andere Arten?
    Brain erwog mit der ihm eigenen Vorsicht die verschiedenen Möglichkeiten und trug in den letzten Absätzen seines Buches The Hunters or the Hunted? zwei vorläufige, einander ergänzende Hypothesen vor.
    Die Hominiden waren möglicherweise nicht in die Höhle geschleppt worden: sie hatten dort vielleicht Seite an Seite mit ihrem Zerstörer gelebt. Im Mount Suswa, einem untätigen

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