Traumpfade
»Einer der wenigen Augenblicke des Glücks, die ein Mann in Australien erlebt, ist der Moment, in dem er den Augen eines anderen Mannes über dem Rand zweier Biergläser begegnet.«
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Jünnan, China
Der Schulmeister des Dorfes war ein ritterlicher, energischer Mann mit einem glänzenden blauschwarzen Haarschopf. Zusammen mit seiner Kindfrau in einem Holzhaus lebte er am Jade-Fluß.
Er war als Musikologe ausgebildet und zu entlegenen Bergdörfern hinaufgeklettert, um die Volkslieder des Na-Khi-Stamms aufzunehmen. Er glaubte – wie Vico –, daß die ersten Sprachen der Welt gesungen wurden. Die ersten Menschen, sagte er, hätten sprechen gelernt, indem sie die Rufe von Tieren und Vögeln nachahmten, und hätten mit der übrigen Schöpfung in musikalischer Harmonie gelebt.
Sein Zimmer war mit Kuriosa vollgestopft, die – weiß der Himmel wie – die Katastrophen der Kulturrevolution überstanden hatten. Wir saßen auf roten Lackstühlen und knabberten Melonenkerne, während er in Fingerhüte aus weißem Porzellan einen Bergtee eingoß, der »eine Handvoll Schnee« genannt wurde.
Er spielte uns ein Band mit einem Na-Khi-Lied vor, das im Wechselgesang von Männern und Frauen um eine Totenbahre gesungen wurde: Wooo … Siii! … Wooo … Siii! Mit dem Lied sollte der »Totenesser« vertrieben werden, ein bösartiger Dämon mit Reißzähnen, von dem man glaubte, daß er sich von Seelen ernährte.
Wir waren erstaunt, wie gut er sämtliche Mazurkas von Chopin und ein scheinbar unerschöpfliches Beethoven-Repertoire summen konnte. Sein Vater, ein Kaufmann im Karawanenhandel mit Lhasa, hatte ihn in den vierziger Jahren zum Studium der westlichen Musik an die Akademie von Kunming geschickt.
An der Wand im Hintergrund hingen über einer Reproduktion von Claude Lorrains Einschiffung nach Kythera zwei gerahmte Fotos von ihm: auf dem einen saß er in weißem Frack und mit weißer Fliege an einem Konzertflügel, auf dem anderen dirigierte er ein Orchester in einer Straße voll fahnenschwenkender Menschen – eine flotte, energische Gestalt, auf den Zehenspitzen stehend, die Arme nach oben gereckt und den Stock nach unten gestreckt.
»1949«, sagte er. »Beim Empfang der Roten Armee in Kunming.«
»Was haben Sie gespielt?«
»Schuberts ›Militärmarsch‹.«
Dafür – oder vielmehr wegen seiner Verehrung der »westlichen Kultur« – verbrachte er einundzwanzig Jahre im Gefängnis.
Er hielt seine Hände in die Höhe und betrachtete sie traurig, als wären sie seit langem verlorene und wiedergefundene Waisen. Seine Finger waren krumm, und an seinen Handgelenken waren Narben: ein Andenken an den Tag, als die Garden ihn am Dachbalken festbanden – in der Haltung eines Christus am Kreuz … oder eines Mannes, der ein Orchester dirigiert.
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Es ist ein weitverbreiteter Irrglaube, daß Männer die Wanderer und Frauen die Hüterinnen von Heim und Herd seien. Das kann natürlich so sein. Aber Frauen sind vor allem die Hüterinnen der Kontinuität: wenn der Herd sich in Bewegung setzt, setzen auch sie sich in Bewegung.
Bei den Zigeunern sind es die Frauen, die dafür sorgen, daß ihre Männer unterwegs bleiben. Ähnlich waren es die Frauen der Yaghan-Indianer, die im sturmgepeitschten Wasser des Kap-Horn-Archipels die Glut auf dem Boden ihrer Rindenkanus schürten. Der Missionar Pater Martin Gusinde verglich sie mit »Vestalinnen der Antike« oder mit »unruhigen Zugvögeln, die nur glücklich und innerlich ruhig sind, wenn sie unterwegs sind«.
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In Zentralaustralien sind Frauen die treibende Kraft hinter der Bewegung, die die Rückkehr zu früheren Lebensformen propagiert. Eine Frau sagte zu einem Freund von mir: »Frauen sind fürs Land gemacht.«
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Mauretanien
Zwei Tage von Chinguetti entfernt mußten wir einen düsteren, grauen Cañon durchqueren, ohne etwas Grünes weit und breit. Auf dem Talboden lagen mehrere tote Kamele, deren vertrocknete Häute rat … tat … tat gegen die Rippen klatschten.
Es war fast dunkel, als wir den gegenüberliegenden Felsen bestiegen. Ein Sandsturm zog auf. Die Kamele waren unruhig. Einer der Führer zeigte dann auf ein paar Zelte: drei aus Ziegenfell und eins aus weißem Baumwollstoff, ungefähr eine halbe Meile entfernt zwischen den Dünen.
Wir näherten uns langsam. Die Führer schnitten Gesichter – sie versuchten herauszufinden, ob die Zelte einem befreundeten Stamm gehörten. Dann lächelte einer von ihnen, sagte: »Lalakhlal!« und ließ seine Kamele in Trab
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