Traumpfade
fallen.
Ein großer junger Mann schlug die Zeltklappe zurück und winkte uns heran. Wir stiegen ab. Seine Gewänder waren blau, und er trug gelbe Pantoffeln.
Eine alte Frau brachte uns Datteln und Ziegenmilch, und der Scheich befahl, ein Zicklein zu töten.
»Nichts hat sich seit den Tagen Abrahams und Saras geändert«, sagte ich mir.
Der Scheich, Sidi Ahmed el Beshir Hammadi, sprach fließend Französisch. Nach dem Abendessen, als er den Pfefferminztee eingoß, fragte ich ihn unschuldig, warum das Leben im Zelt trotz all seiner Härten unwiderstehlich sei.
»Bah!« sagte er und zuckte die Achseln. »Ich täte nichts lieber als in einem Haus in der Stadt leben. Hier in der Wüste kann man nicht sauber bleiben. Man kann sich nicht du schen! Es sind die Frauen, die uns veranlassen, in der Wüste zu leben. Sie sagen, die Wüste bringe Gesundheit und Glück, ihnen und den Kindern.«
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Timbuktu
Die Häuser sind aus grauem Lehm gebaut. Viele Mauern sind mit Sgraffiti bedeckt, mit Kreide in säuberlicher Schönschrift geschrieben:
Les noms de ceux qui voyagent dans la nuit sont Sidi et Yéyé.
Hélas! Les Anges de l’Enfer.
Beauté … Beau …
La poussière en décembre …
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Sinnlos ist es, den Wanderer
um Rat beim Hausbau zu fragen.
Das Haus wird nie fertig werden.
Nachdem ich diesen Text aus dem chinesischen Buch der Oden gelesen hatte, sah ich ein, wie absurd es war, ein Buch über Nomaden zu schreiben.
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Psychiater, Politiker und Tyrannen versichern uns ohne Unterlaß, daß ein Wanderleben eine anomale Verhaltensweise sei, eine Neurose, eine Form unbefriedigten sexuellen Verlangens, eine Krankheit, die im Interesse der Zivilisation ausgerottet werden müsse.
Die Propagandisten der Nazis behaupteten, daß Zigeuner und Juden – Völker mit dem Wandertrieb in den Genen – keinen Platz in einem stabilen Reich hätten.
Und doch hat der Ferne Osten die einst in der ganzen Welt gültige Vorstellung beibehalten, daß Wandern die ursprüngliche Harmonie wiederherstelle, die einst zwischen Mensch und Universum bestanden hat.
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Kein Glück kennt der Mann, der nicht reist. In der Gesellschaft von Menschen wird der beste Mann zum Sünder. Denn Indra ist der Freund des Reisenden. Darum wandert!
Aitareya Brahmana
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Du kannst nicht auf dem Pfad gehen, bevor du nicht der Pfad selbst geworden bist.
Gautama Buddha
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Geht weiter!
Buddhas letzte Worte an seine Schüler
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Im Islam, und vor allem bei den Sufi-Orden, wurde siyahat oder das »Irren« – der Vorgang oder Rhythmus des Gehens – als ein Mittel benutzt, die Bindungen an die Welt zu lösen und den Menschen zu erlauben, sich in Gott zu verlieren.
Das Ziel eines Derwischs war es, ein »wandernder Toter« zu werden: einer, dessen Körper auf der Erde lebendig bleibt, dessen Seele jedoch bereits im Himmel ist. In einem Sufi-Handbuch, dem Kashf-al-Mahjub, heißt es, daß der Derwisch am Ende seiner Reise der Weg geworden und nicht mehr der Wanderer ist, zum Beispiel eine Stelle, die überquert wird, und nicht ein Reisender, der seinem eigenen freien Willen gehorcht.
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Arkady, dem gegenüber ich dies erwähnte, sagte, dies ähnele sehr stark einer Vorstellung der Aborigines: »Viele Menschen werden im nachhinein Land und am Ende Ahnen.«
Indem er sein ganzes Leben damit verbracht habe, die Songline seines Ahnen zu wandern und zu singen, sei ein Mensch schließlich der Weg, der Ahne und das Lied geworden.
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Der weglose Weg, auf dem sich Gottes Söhne verirren und gleichermaßen finden.
Meister Eckhart
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Ihn führt Natur
zum Frieden, so vollkommen, daß die Jungen mit Neid erblicken, was der alte Mann kaum fühlt.
Wordsworth, »Old Man Travelling«
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Ein sehr kurzer Lebenslauf von Diogenes:
Er lebte in einer Tonne. Er aß rohen Tintenfisch und Lupinen. Er sagte: »Kosmopolites eimi« – »Ich bin ein Weltbürger«. Er verglich seine Wanderungen durch Griechenland mit dem Zug der Störche: nach Norden im Sommer, nach Süden, um die Winterkälte zu vermeiden.
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Wir Lappen haben dieselbe Veranlagung wie das Rentier: im Frühling sehnen wir uns nach den Bergen; im Winter zieht es uns in die Wälder.
Turis Buch von Lappland
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Im alten Indien machte der Monsun das Reisen unmöglich. Und da Buddha nicht wollte, daß seine Anhänger bis zum Hals durch Hochwasser wateten, genehmigte er ihnen einen »Regenrückzug«, das Vassa. Während dieser Zeit mußten sich die heimatlosen Pilger in höher gelegenen Gebieten versammeln
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