Traumreisende
ausgewählt.
David war ein intelligenter Vierjähriger mit guten Manieren. Bea wusste, dass sie gut miteinander auskommen würden, als er an ihrem ersten gemeinsamen Tag darauf bestand, dass sie zusammen mit ihm als Nachmittagsimbiss eine Schale Eiscreme genießen sollte. Er mochte ihr gern Geschichten vorlesen, und sie wusste den Auffrischungskurs in geschriebener Sprache zu schätzen. Er ging gern in den Park und lief im Freien herum. Endlich hatte er ein Kindermädchen, das sich in der Natur genauso wohl fühlte wie er! Bea hatte jeden Abend frei, nachdem sie David um sieben zu Bett gebracht hatte, und so interessierte sie sich für die örtliche Aborigine-Politik und ging zu abendlichen Versammlungen.
Sie war zwei Monate bei den Carpenters, als sie erfuhr, dass Natalies Vater zum Dinner käme. Kuno fragte, ob Bea und David in den Supermarkt gehen und die Einkäufe erledigen könnten. Sie wollte eine Nachspeise zubereiten, die der Ehrengast besonders gern hatte. An diesem Abend wurde Bea nach dem Dinner ins Wohnzimmer gerufen, um David zu holen und ins Bett zu bringen. Ein großer, stattlicher weißhaariger Mann kam gerade aus dem Garten herein. Natalie sagte zu Bea: »Ich möchte Ihnen meinen Vater vorstellen, Andrew Simunsen. Dad, das ist unser Kindermädchen Bea.«
»Freut mich, Sie kennen zulernen«, sagte Andrew. »Mein Enkel hat Sie sehr liebgewonnen. Das ist schön zu hören.«
Bea hätte Andrew überall wiedererkannt. Er hatte sich nicht sehr verändert. Er war noch immer schlank und athletisch und hatte leicht abstehende Ohren. Das weiße Haar unterstrich sein vornehmes Aussehen. »Schön, Sie wiederzusehen«, sagte Bea. »Es ist lange her.«
»Ich kann mich leider nicht an Sie erinnern«, erwiderte der Mann und ließ das leere Cocktailglas kreisen, das er in der Hand hielt.
»Mrs. Crowleys Pension. Ich bin nach dem Feuer fortgegangen.«
»Ja, natürlich, Beatrice. Solch eine Überraschung! Sie sehen gut aus. Ich bin froh, dass es Ihnen gut geht. Also wirklich, solch ein Zufall!«
Bea brachte David nach oben, nachdem er allen gute Nacht gesagt hatte. Als er eingeschlafen war, ging sie nach draußen und setzte sich in den Garten. Als sie zu den Sternen aufblickte, von denen hier viel weniger zu sehen waren als in der Wüste, fragte sie sich, welche Tür sich wohl heute nacht öffnete. Kurz darauf tauchten Andrew und die Carpenters auf, jeder mit einem vollen Weinglas. »So, Bea, nun erzählen Sie mir von sich«, sagte ihr alter Bekannter und trank einen großen Schluck Wein.
»Oh, da gibt es nicht viel zu erzählen, aber Sie scheinen ein interessantes Leben geführt zu haben. Ich würde gern Ihre Geschichte hören.«
»Ha, ha«, kicherte er fröhlich. »Meine Geschichte, sagen Sie.
Nun ja, es ist mir gut ergangen. Bergbau, wissen Sie. Da hatte ich Erfolg. Ihre Leute waren anfangs eine große Hilfe. Eines Tages hörte ich einen Mann über diesen besonderen Ort reden, einen Ort mit besonderer Kraft, und da fragte ich mich, ob es so etwas wirklich gibt. Und wenn ja, warum? Vielleicht war die Stelle reich an Mineralien und hatte deshalb Wasser mit hohem Mineralgehalt. Also brachte ich ihn dazu, mir zu erzählen, wo sich der Ort befände. Dann ließ ich Analysen anfertigen und beantragte sofort die Abbaurechte. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie viel Eisen, Uran und sogar Gold ich gefunden habe, indem ich die Aborigines nach ihren Kraftorten fragte. Natürlich bezahlen wir jetzt für die Bergbaurechte. Und das schon seit einer ganzen Weile. Es gibt von Zeit zu Zeit noch immer kleine juristische Auseinandersetzungen, aber nichts Bedeutsames. Ihr Volk hat einen weiten Weg zurückgelegt. Man braucht Sie nur anzuschauen, Bea. Es ist wunderbar, dass Sie so wohl aussehen.« Sein Brillantring funkelte im Mondschein, als er das Glas an die Lippen führte und leerte.
Als sie in dieser Nacht bei offenem Fenster im Bett lag, lauschte Bea den nächtlichen Stadtgeräuschen und dachte: Andrew Simunsen denkt also, dass wir einen weiten Weg zurückgelegt haben. Für mich riecht und schmeckt das nicht so. Ohne über jemanden zu urteilen, muss ich mir anschauen, wo wir stehen, und meine Energie zum höchsten Wohl meines Volkes einsetzen.
Judy war eine fünfunddreißigjährige Aborigine, die Bea bei einigen der politischen Versammlungen gesehen hatte. Sie wirkte gebildet und konnte ihre Meinung sehr gewandt ausdrücken. Bea hatte das Gefühl, sie würde eine gute Informationsquelle sein. Am folgenden Abend fand eine
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