Traumreisende
ursprüngliche Familie und das Leben vor dem letzten gemeinsamen Tag. Ich wurde in einem Reservat geboren. Als ich acht Jahre alt war, verließen wir unsere ursprüngliche Zufluchtsstätte und zogen in neugebaute Unterkünfte aus Wellblech. Die bestanden aus einer langen Wand mit regelmäßig angeordneten Zwischenwänden und je einer Tür.
Innerhalb jeder quadratisch angelegten Familienwohnung gab es ein kleines offenes Fenster. Wahrscheinlich war es einmal dazu gedacht gewesen, verglast zu werden, aber das geschah niemals. Der Raum enthielt ein Bett, einen Tisch und Stuhle und einige wenige Möbelstücke, meist eine Kommode für die Kleidung und einen Geschirrschrank. In der Mitte des Raums hing an einem langen Kabel eine einzige Glühbirne. Manchmal schlössen wir ein Radio an die Steckdose an. Die Möbel behielten wir nie lange. Mein Vater verkaufte sie entweder, oder er verspielte sie oder zertrümmerte sie bei einem seiner Wutanfälle. Meine Mutter konnte auch gut Sachen hinunterwerfen und zerbrechen.
Meine Großeltern sollten auch in dem Raum leben, aber das taten sie nie. Sie wohnten weiterhin auf von der Regierung zugewiesenem Land, wo sich ältere Leute sammelten, die kein Englisch sprachen. Sie bauten sich selbst ihre Hütten zwischen Bäumen und Büschen, manchmal unter Verwendung von Kartons, Leinwand und Holzkisten. Die älteren Leute gewöhnten sich nie wirklich an die fremde Lebensweise. Mein Großvater bedeckte seine Genitalien, trug aber niemals irgendein genähtes Kleidungsstück. Und Großmutter trug Röcke und band sich Stoff um die Brüste.
Großvater war ein trauriger Mann, der nie lächelte. Er verbrachte seine Tage damit, durch die Wälder zu streifen oder im Schatten unter einem Baum zu sitzen. Er sprach selten, außer um Großmutter zu danken, wenn sie ihm eine Schale Essen oder eine Blechtasse mit Tee reichte. Oft bereitete er sich selbst seine Mahlzeiten aus Nahrungsmitteln, die er bei seinen Spaziergängen fand. Gewöhnlich gingen die Männer mittwochs los, um die Nahrungs-und Tabakvorräte abzuholen, die wöchentlich ausgegeben wurden, aber in unserer Familie war es anders. Da übernahmen Großmutter und meine Mutter diese Aufgabe. Als ich etwa vier war, ging Mutter zum ersten Mal auf den Lastwagen eines fremden Weißen. Vier Jahre später, als wir in dem Raum wohnten, hatte Mutter sich völlig verändert. Ich erinnere mich noch, wie meine Mutter und mein Vater sich das erste Mal stritten. Er hatte sie am Arm gepackt und zog sie buchstäblich weg, während ich zuschaute. Ich folgte ihnen in einiger Entfernung und sah, dass sie einen weißen Mann trafen, der dann seinerseits meine Mutter packte und hinten in seinen alten roten Lieferwagen zwang. Mein Vater stampfte auf den Boden, als er fortging. Dann sah er mich und sagte, ich solle weggehen. Dabei faltete er eine Dollarnote zusammen und steckte sie in seine Hosentasche.
Danach kam es häufig vor, dass mein Vater für die Dienste seiner Frau einen Dollar kassierte. Mutter war eine hübsche Frau, die mit mir spielte und kleine Spielsachen bastelte, aber das hörte auf, als Vater anfing, sie mit Männern gehen zu lassen, die sie nicht mochte. Danach war es Großmutter, die sich um mich kümmerte, mich unterrichtete und versuchte, der Welt für mich einen Sinn zu geben, wenn ich Fragen stellte.
Großmutter erzählte davon, wie es war, in der Natur aufzuwachsen. Sie sprach von den wunderbaren Wäldern voll bunter Vögel, dem Meeresufer, von schönen Wasserfällen und tiefblauen Lagunen. Sie sprach von Grasebenen voller Kängurus und dem richtigen Zeitpunkt, zu dem ihr Volk ein totes Gelände anzündete, damit die folgende Regenzeit neue grüne Sprossen und neues Leben brächte. Sie beschrieb die weite, offene Wüste, ihre Schönheit und ihren Frieden.
Als ich zwölf war, wurde unsere Gemeinde von einer Krankheit heimgesucht, an der auch meine Eltern starben. Danach blieb ich bei meinen Großeltern und wurde Pflegerin all der älteren Leute und wohnte nicht mehr in der Wellblechunterkunft. Großvater starb, als ich sechzehn, und Großmutter, als ich achtzehn war.
Danach ging ich einfach fort. Ich zog jahrelang von einem Ort zum anderen. Ich hatte nie Interesse daran, zu heiraten oder Kinder zu haben. Ich sah nie irgendeinen Sinn in der Welt, bis ich eines Tages einen Stammesläufer traf, der vorübergehend in die Stadt gekommen war. Als er in die Wüste zurückkehrte, ging ich mit ihm. Das war vor acht Jahren.
Ich wählte den Namen
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