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Traumreisende

Traumreisende

Titel: Traumreisende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlo Morgan
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Apalie, was Wasserperson bedeutet, weil eine alte Frau, die nicht mehr bei uns ist, mir die Kunst beigebracht hat, Wasser in der Luft zu riechen, Wasser unter der Erde zu hören, mit meinem Körper nach Wasser zu suchen.
    Ihre tiefe Verehrung des Wassers und ihre Achtung vor dieser lebenserhaltenden Flüssigkeit inspirierten mich. Wasser stellt keine Fragen, es akzeptiert jedes Gefäß, in das es zufällig hineingerät, und passt sich dessen Form an. Wasser kann heiß oder kalt, Dampf oder Regen sein. Es nährt Pflanzen, Tiere, Fische und Menschen. Es achtet jedes Leben und verschenkt sich freigiebig. Wasser ist schwach, aber ein steter Tropfen kann einen Stein aushöhlen. Der Mensch kann es schlammig werden lassen, aber wenn man es nicht stört, klärt es sich wieder. Ich bin stolz, mit dem Wasser verbunden zu sein.«
    Jeder hat eine Geschichte zu erzählen, dachte Minendie. Wenn die Welt nur rücksichtsvoll genug wäre, dem anderen zuzuhören. Die Aborigines wanderten häufig in völligem Schweigen, weil sie auf die alte Art miteinander sprachen: telepathisch, nicht mit der Stimme. »Wie macht man das?« fragte Minendie die Gefährtin, die neben ihr ging. »Kann ich es auch lernen?«
    »Natürlich«, antwortete Benala. »Der einzige Grund, warum die Welt der >Veränderten< es nicht tut, ist die Angst, die diese Fähigkeit blockiert. >Veränderte< behalten Geheimnisse für sich und sagen nicht immer die Wahrheit. Sie haben Angst, dass jemand durch ihren Kopf und ihr Herz geht und herausfindet, was tief darin verborgen ist. Sie sagen sich, so etwas sei nicht möglich, und wäre es doch möglich, wäre es unerwünscht, sogar böse, weil die Begegnung mit dem Übernatürlichen für viele >Veränderte< erschreckend ist. Sie glauben, dies ginge über normale menschliche Fähigkeiten hinaus. Aber das stimmt nicht. Es erfordert nur Übung und Konzentration.«
    Als das Lagerfeuer an diesem Abend entzündet war, brachte Benala Minendie bei, wie sie in eine Flamme schauen und sich so stark konzentrieren könnte, dass in ihrem Kopf kein innerer Dialog stattfände und sie nichts von dem hörte oder sähe, was um sie herum geschah. Sie versetzte sich selbst in einen Trancezustand. Dann konzentrierte die ganze Gruppe sich darauf, ihr telepathisch die Farbe Rot zuzusenden. Man sagte ihr, wenn sie fünf Farben richtig empfangen könne, werde auch sie selbst senden können. An diesem ersten Abend hatte sie Schwierigkeiten damit. Als sie versuchte, ihre mögliche Blockierung zu analysieren, gestand sie sich ein, dass sie sich insgeheim noch immer nicht mit dem Thema der Nacktheit befassen wollte.

»Du musst erkennen«, sagte Wurtawurta in der sanften Art der alten Frauen zu ihr, »dass es kein Richtig oder Falsch gibt. Es wird keinen Applaus für eine richtige Antwort und kein Stirnrunzeln geben, weil du anders fühlst als die meisten von uns. Die Welt ist nicht schwarz oder weiß. Sie ist alle Farben dazwischen. Was für dich vielleicht so abstoßend wäre, dass du bei dem bloßen Gedanken daran krank würdest, kann von anderen für heilig gehalten werden, sogar von dir selbst in einer anderen Zeit, an einem anderen Ort, in einer anderen Situation. Aufrichtigkeit ist die Antwort. Sei einfach ehrlich zu dir selbst. Erkenne an, wie du über Dinge fühlst. Beobachte dich selbst.
    Es ist vollkommen in Ordnung, sich unbehaglich zu fühlen, nur leugne oder verberge deine Gefühle nicht. Daraus lernen wir, dass die Menschen verschieden sein können und jeder recht hat, was seinen eigenen Weg betrifft. Wenn du deine eigenen Gefühle nicht ehren kannst, kannst du auch die anderer nicht ehren. Es ist das Gesetz des Universums, dass niemand in deinen Kopf hineingelangen und deine Gedanken lesen kann, wenn du es ihm nicht erlaubst. Es ist eine Kunst der Offenheit.«
    Nachdem Minendie das begriffen hatte, verliefen die Lektionen viel glatter. Sie begannen, indem man ihr beibrachte, auf mentalem Weg Farben zu empfangen und zu senden. Sie stellte sich die Farbe Rot - die Beschaffenheit, das Gefühl, den Geruch - mit allen ihren Sinnen vor. Dann ging man zu Formen über. Sie lernte, mit Kreisen, Quadraten, Dreiecken umzugehen. Das Material wurde immer komplexer, bunte Kugeln kamen hinzu, bis sie abstrakte Gedanken senden und empfangen konnte. Telepathie war nicht wie eine Stimme, die sie in ihrem Kopf hörte, waren nicht Worte, die in ihr Gehirn geschrieben wurden, sondern eine andere Art von Wissen. Tägliche Übungen machten die Sache leichter.

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